Beschluss vom 03.12.2004 -
BVerwG 1 B 52.04ECLI:DE:BVerwG:2004:031204B1B52.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 52.04

  • Hessischer VGH - 12.01.2004 - AZ: VGH 3 UE 563/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Januar 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu.
Die Beschwerde hält die Rechtssache für grundsätzlich bedeutsam, weil sie die Rechtsfrage aufwerfe,
"ob die Abschiebung in ein Land, in dem mit einer schweren Erkrankung - hier Malaria - zu rechnen ist, gemäß § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGMR zu Art. 3 EMRK unzulässig ist".
Der Verwaltungsgerichtshof sei davon ausgegangen, dass der Kläger wegen verloren gegangener Semi-Immunität bei einer Rückkehr nach Angola mit einer schweren Malaria-Erkrankung rechnen müsse. Gleichwohl habe er die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 EG nicht für gegeben erachtet, weil hierfür eine extrem erhöhte Gefahr schwerster Verletzungen erforderlich sei, die im Falle des Klägers nicht vorliege. Die Beschwerde meint, diese auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gestützte Rechtsauffassung verstoße sowohl gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als auch gegen Art. 3
EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in dessen Entscheidung vom 7. März 2000 - T.I. gegen U.K. – (InfAuslR 2000, 321). Danach sei der Anknüpfungspunkt für die Prüfung des Art. 3 EMRK der staatliche Akt der Aufenthaltsbeendigung, und Prognosemaßstab sei das tatsächliche Risiko, die reale Gefahr. Diese beiden Voraussetzungen seien nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs vorliegend erfüllt. Die aufgeworfene Rechtsfrage sei grundsätzlicher Natur, da sie die Auslegungsprinzipien des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG im Lichte der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffe und die vorliegende Konstellation der Gefahr einer schwerwiegenden Erkrankung - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden sei.
Dieses Vorbringen führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde bestreitet selbst nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungskonformen Anwendung von § 53 Abs. 6 AuslG bei allgemeinen Gefahren übereinstimmt (vgl. neben dem in der Berufungsentscheidung zitierten Urteil vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 die Urteile vom 12. Juli 2001 - BVerwG 1 C 2.01 und BVerwG 1 C 5.01 - BVerwGE 114, 379 <382>; 115, 1 <7> m.w.N.). Sie meint aber, dass eine erneute Überprüfung dieser Rechtsprechung insbesondere wegen der anders lautenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 7. März 2000 zum Abschiebungsverbot aus Art. 3 EMRK geboten sei. Dass insoweit aus Anlass des Falles des Klägers ein erneuter rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht, zeigt die Beschwerde indes nicht auf. Sie legt nicht dar, dass der von ihr behauptete Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall des Klägers überhaupt besteht und von Bedeutung ist. Soweit die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe mit seiner Formulierung, dass "Rückkehrer mit verloren gegangener Semi-Immunität in Malaria-Gebieten mit einer schweren Malaria rechnen" müssen, bereits "das tatsächliche Risiko" bzw. "die reale Gefahr" einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschen-
rechte bejaht, trifft dies nicht zu. Die fragliche Feststellung hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Prüfung getroffen, ob dem - gesundheitlich nicht vorbelasteten - Kläger wegen des Verlustes der Semi-Immunität und der Gefahr einer schweren Malariaerkrankung bei einer Rückkehr nach Angola der Tod oder schwerste Verletzungen drohen. Es hat dies angesichts einer Sterblichkeitsrate von höchstens 1 % (bei Kindern) und des Risikos von bleibenden - aber nicht notwendig schwerwiegenden - Schäden in 10 bis 20 % der Fälle sowie der Möglichkeit, durch wirksame und kostengünstige Prophylaxe das Infektionsrisiko um etwa 50 % zu senken, verneint (BA S. 9 f.). Entgegen der Auffassung der Beschwerde lassen diese Ausführungen nicht auf das Bestehen eines "tatsächlichen Risikos" bzw. einer "realen Gefahr" einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK schließen. Die Beschwerde benennt auch keine Entscheidung des Gerichtshofs, in der in einem vergleichbaren Fall eine Abschiebung wegen des Risikos einer (erstmaligen) Infektion und Erkrankung im Zielstaat als Verstoß gegen Art. 3 EMRK angesehen worden wäre. Sie setzt sich ferner nicht - wie für die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erforderlich - mit den einschlägigen Entscheidungen des Gerichtshofs zur Frage des Abschiebungsverbots aus Art. 3 EMRK wegen der Gefahr der Verschlimmerung einer vorhandenen Erkrankung und den darin gestellten hohen Anforderungen an die Feststellung einer Verletzung von Art. 3 EMRK in diesen Fällen auseinander (vgl. etwa die Urteile vom 2. Mai 1997 - D. gegen U.K. - InfAuslR 1997, 381 und vom 6. Februar 2001 - B. gegen U.K. - InfAuslR 2001, 364). Die von ihr zitierte Entscheidung vom 7. März 2000 betraf den Fall eines Tamilen aus Sri Lanka, der die drohende Gefahr von Misshandlungen und Folter seitens der LTTE und seitens der Regierungskräfte Sri Lankas geltend gemacht hatte. Dass die hier angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs im Ergebnis mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht vereinbar wäre, ist damit weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich.
Weitere neue Gesichtspunkte, die eine Überprüfung der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur verfassungskonformen Anwendung von § 53 Abs. 6 AuslG erforderlich machen könnten, lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG a.F. (= § 83 b AsylVfG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004, BGBl I S. 718) nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG a.F. (vgl. § 60 RVG).