Beschluss vom 03.12.2003 -
BVerwG 7 B 7.03ECLI:DE:BVerwG:2003:031203B7B7.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 03.12.2003 - 7 B 7.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:031203B7B7.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 7.03

  • VG Chemnitz - 19.09.2002 - AZ: VG 9 K 910/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Dezember 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 19. September 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 127 822 € festgesetzt.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Anmeldung der Beigeladenen vom 4. Oktober 1990, die ausdrücklich den Antrag auf die vermögensrechtliche Rückübertragung des Eigentums ihrer Rechtsvorgängerin in Chemnitz, G.straße 16, verzeichnet im Grundbuch von Sch., Blatt 341, Flurstück-Nr. 278 enthielt, auch das frühere Eigentum ihrer Rechtsvorgängerin an dem auf Blatt 323 des Grundbuchs eingetragenen Nachbargrundstück mit der (früheren) Flurstücks-Nr. 263 umfasste. Die Klägerin, die zugleich Verfügungsberechtigte über dieses Grundstück ist, gab dem Restitutionsantrag der Beigeladenen zwar in Bezug auf das Flurstück Nr. 278 bestandskräftig statt, die Rückübertragung des Nachbargrundstücks (Flurstück Nr. 263) lehnte sie jedoch ab, weil die Anmeldung des Grundstücks erst nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgt sei. Auf den Widerspruch der Beigeladenen übertrug das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen das Flurstück Nr. 263 an die Beigeladenen zurück. Die dagegen erhobene Klage der Klägerin hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Weder liegen die gerügten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) vor, noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu.
1. Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), den sie darin sieht, dass das Verwaltungsgericht aktenwidrig von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei und entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen habe. Die Rügen sind nicht begründet.
a) Der Überzeugungsgrundsatz ist verletzt, wenn das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der im Widerspruch zu dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt steht (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG 4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1 S. 1). Nach Auffassung der Klägerin steht die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Anmeldung vom 4. Oktober 1990 sei auf "das alte Grundstück G.straße 16" zu beziehen, im Widerspruch dazu, dass für das Flurstück Nr. 263 weder im Kataster noch im Grundbuch die Lagebezeichnung "G.straße 16" verwendet worden sei. Ein solcher Widerspruch besteht nicht. Die Klägerin übersieht, dass das Verwaltungsgericht nicht eine - unzutreffende - Lagebezeichnung zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, sondern lediglich auf eine früher gebräuchliche Bezeichnung des Flurstücks abgestellt hat. Dies erschließt sich ohne weiteres aus der hierfür gegebenen Begründung des Verwaltungsgerichts, die nicht auf eine amtlich festgesetzte (Haus-)Nummer für das frühere Flurstück Nr. 263, sondern auf tatsächliche Gründe wie die Nutzung der beiden Flurstücke durch die früheren Eigentümer als eine Gesamtfläche und die Festsetzung eines gemeinsamen Einheitswertes für beide Flurstücke abstellt. Demgemäß spricht das Verwaltungsgericht auch nur von einer postalischen Benennung oder Bezeichnung des Flurstücks Nr. 263, das zum Zeitpunkt der Ausreise der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen unbebaut war und für das keine (Haus-)Nummer festgesetzt war. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist die Anschrift "G.straße 14" erst im Zusammenhang mit der späteren Teilung des Flurstücks Nr. 263 und der Bebauung einer Teilfläche vergeben worden; für das Flurstück Nr. 263 war bis dahin die Lagebezeichnung "G.straße" (ohne Hausnummer) maßgebend.
b) Auch hat das Verwaltungsgericht nicht unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen. Nach Auffassung der Klägerin hat sich das Verwaltungsgericht nicht mit der eidesstattlichen Versicherung der Beigeladenen auseinander gesetzt, sie hätten erst Anfang 1994 festgestellt, dass sich auch das streitgegenständliche Grundstück G.straße 14 im Eigentum ihrer Rechtsvorgängerin befunden habe. Auch diese Rüge führt nicht zur Zulassung der Revision. Das Verwaltungsgericht hat diesen Akteninhalt nicht außer Acht gelassen. Hiergegen spricht bereits, dass im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, was die Klägerin nicht verkennt, diese Erklärung wiedergegeben ist. Ebenso hat sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen mit der Erklärung der Beigeladenen befasst, sie aber anders als die Klägerin gewürdigt. Nach der Auslegung des Verwaltungsgerichts haben die Beigeladenen nicht nachträglich die Rückübertragung eines Grundstücks beantragt, von dem sie erst nach Ablauf der Ausschlussfrist entdeckt hätten, dass es auch im Eigentum ihrer Rechtsvorgängerin gestanden habe. Vielmehr hätten sie mit der Angabe "G.straße 16" die beanspruchte, aus beiden Flurstücken bestehende Grundstücksfläche lediglich unvollständig, nämlich nur mit der Flurstücks-Nr. 278, bezeichnet. Sie hätten sich wie auch ihre Rechtsvorgängerin insoweit in einem Irrtum befunden. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts begründet jedenfalls keinen Verfahrensfehler; Fehler in der Beweiswürdigung und in der Auslegung einer Erklärung sind grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzurechnen.
2. Auch die Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) hat keinen Erfolg. Die Klägerin vertritt die Auffassung, es habe Anlass zur Klärung der Frage bestanden, ob die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen sowie die Beigeladenen selbst überhaupt Kenntnis davon gehabt hätten, dass auch das streitgegenständliche Grundstück im Eigentum eines Familienmitglieds gestanden habe. So hätte das Verwaltungsgericht darüber Beweis erheben müssen, auf wessen Veranlassung das Grundbuch für das streitgegenständliche Grundstück im Jahr 1976 umgeschrieben worden sei und ob sich in den Nachlassakten der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen ein Hinweis auf das Grundstück befunden habe. Einen entsprechenden Beweisantrag hat die in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertretene Klägerin nicht gestellt. Eine Beweiserhebung musste sich dem Gericht auch nicht aufdrängen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es liege lediglich eine unvollständige Bezeichnung des Grundstücks vor, beruht nicht auf einer unterbliebenen Sachaufklärung. Zum einen ist das Verwaltungsgericht selbst davon ausgegangen, dass die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen eine Umschreibung des Grundbuchs bezüglich des Flurstücks Nr. 263 nicht beantragt hat (Urteil, S. 18). Zum anderen würde eine Grundbucheintragung auf staatliche Veranlassung oder das Fehlen eines Hinweises auf das Flurstück mit der Nr. 263 in Nachlassakten die Annahme eines Irrtums nicht in Frage stellen, sondern eher stützen.
Die Rüge, das Verwaltungsgericht hätte aufklären müssen, ob das Grundstück die postalische Anschrift G.straße 16 getragen habe, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Sie genügt nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, da die Klägerin nicht angibt, welche Beweismittel hierfür zur Verfügung gestanden hätten. Davon abgesehen ist die postalische Anschrift, wie dargelegt, von dem Verwaltungsgericht ersichtlich nicht als amtlich festgesetzte Anschrift, sondern in einem untechnischen Sinne verstanden worden als gebräuchliche Bezeichnung des Grundstücks.
3. Eine Zulassung der Revision kommt auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) in Betracht. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen befassen sich im Wesentlichen mit der Auslegung von Anmeldungen oder Erklärungen eines Antragstellers und stellen dabei die Umstände des vorliegenden Einzelfalles in einer allgemein formulierten Weise zur Beurteilung. Wie Anmeldungen oder Erklärungen unter Berücksichtigung der genannten Umstände auszulegen sind, entzieht sich regelmäßig einer generellen Beantwortung und damit einer grundsätzlichen Klärung. Denn bei der Auslegung sind der gesamte Inhalt der Erklärung und die weiteren Umstände des Einzelfalles zu würdigen; sie ist jeweils auf den Einzelfall bezogen. Die weitere Frage der Klägerin, ob eine Anmeldung auch dann noch als fristwahrend angesehen werden kann, wenn der Antragsteller keine Kenntnis davon gehabt habe, dass der betreffende Vermögenswert im Eigentum seiner Rechtsvorgängerin gestanden habe, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die die Klägerin erfolglos mit Verfahrensrügen angegriffen hat, haben die Beigeladenen sich lediglich in einem Irrtum über die Bezeichnung der beanspruchten Grundstücksfläche, nicht aber über das Eigentum ihrer Rechtsvorgängerin an dem streitbefangenen Grundstück befunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.