Beschluss vom 02.07.2008 -
BVerwG 10 B 3.08ECLI:DE:BVerwG:2008:020708B10B3.08.0

Beschluss

BVerwG 10 B 3.08

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 31.10.2007 - AZ: OVG 1 LB 121/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2007 aufgehoben, soweit darin die Berufung der Beklagten verworfen worden ist.
  2. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der von ihr als Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemachte Verstoß gegen § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO liegt vor. Auf ihm kann die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der ihm nach § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

2 Zu Recht beanstandet die Beschwerde, das Berufungsgericht habe überzogene Anforderungen an den Inhalt der nach § 124a Abs. 3 VwGO erforderlichen Berufungsbegründung gestellt und hätte die Berufung deshalb nicht teilweise als unzulässig verwerfen dürfen.

3 Nach § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Der Wortlaut der Vorschrift, die nach ihrer Entstehungsgeschichte gewollte Anlehnung an die im verwaltungsprozessualen Revisionsrecht und im Zivilprozess für die Berufungsbegründung geltenden Anforderungen sowie der Zweck der Bestimmung, mit der Berufungsbegründungspflicht die Berufungsgerichte zu entlasten und dadurch das Berufungsverfahren zu straffen und zu beschleunigen, lassen erkennen, dass die Begründung substanziiert und konkret auf den zu entscheidenden Fall bezogen sein muss. Sie hat in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht im Einzelnen auszuführen, weshalb das angefochtene Urteil, soweit dagegen die Berufung zugelassen wurde, nach Auffassung des Berufungsführers unrichtig ist und geändert werden muss. Erfolgt die Berufungsbegründung durch die Bezugnahme auf den Zulassungsantrag, was nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich zulässig ist, muss dieser den genannten Anforderungen genügen. Welche Mindestanforderungen in Anwendung dieser Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalles ab (vgl. Beschluss vom 23. September 1999 - BVerwG 9 B 372.99 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 12 m.w.N.).

4 Vorliegend hat sich die Beklagte zur Begründung der Berufung in einem gesonderten Schriftsatz nach Zulassung der Berufung auf ihre Ausführungen im Berufungszulassungsantrag und die Gründe des Zulassungsbeschlusses bezogen. Damit hat sie entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Berufung hinsichtlich des gesamten Streitstoffs hinreichend begründet. Gegenstand des Klageverfahrens war der Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2005. In diesem hat das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennung des Klägers widerrufen (Ziff. 1 des Bescheids) und zugleich festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Ziff. 2 des Bescheids) noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen (Ziff. 3 des Bescheids). Das Verwaltungsgericht ist in seiner Entscheidung davon ausgegangen, dass der Bescheid insgesamt aufzuheben ist, weil die Widerrufsvoraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht vorliegen (vgl. UA S. 11). Auf Antrag der Beklagten hat das Berufungsgericht die Berufung uneingeschränkt zugelassen. Mit Beschluss vom 31. Oktober 2007 hat es das erstinstanzliche Urteil geändert, soweit darin Ziff. 1 des erwähnten Bescheids aufgehoben wurde, und im Übrigen die Berufung verworfen.

5 In dem angegriffenen Beschluss stellt das Berufungsgericht zu hohe Anforderungen, indem es hinsichtlich der Ziff. 2 des Bescheids eine eigene Begründung der Berufung verlangt. Es berücksichtigt dabei nicht, dass die in Ziff. 2 des Bescheids enthaltene Feststellung keinen eigenen Regelungscharakter hat. Da sich der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung in Ziff. 1 - der insoweit inzwischen rechtskräftigen Berufungsentscheidung zufolge - als rechtmäßig erweist, hat auch die in Ziff. 2 enthaltene Feststellung Bestand, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen (vgl. Urteil vom 20. März 2007 - BVerwG 1 C 38.06 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 27 Rn. 19).

6 Auch in Bezug auf Ziff. 3 des Bescheids des Bundesamts macht die Beschwerde der Sache nach zu Recht geltend, dass die Berufung insoweit nicht als unzureichend begründet hätte verworfen werden dürfen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage hinsichtlich Ziff. 3 des Bescheids erkennbar deshalb stattgegeben, weil es den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung als rechtswidrig angesehen und damit auch für eine Feststellung des Bundesamts zum ausländerrechtlichen Abschiebungsschutz keine Grundlage mehr gesehen hat (vgl. auch Urteil vom 20. März 2007 a.a.O. Rn. 20 ff.). Es lag deshalb auf der Hand, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts insoweit im Falle der Bestätigung des Widerrufs nicht aufrecht erhalten werden konnte. Mithin konnte sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung darauf beschränken, die Fehlerhaftigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zum Widerruf darzulegen. Das Berufungsgericht wird in dem neuen Berufungsverfahren, dessen Gegenstand nur noch Ziff. 3 des Bescheids des Bundesamtes ist, zu entscheiden haben, ob entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers die materiellen Voraussetzungen des ausländerrechtlichen Abschiebungsschutzes vorliegen.