Beschluss vom 02.07.2002 -
BVerwG 4 B 22.02ECLI:DE:BVerwG:2002:020702B4B22.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.07.2002 - 4 B 22.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:020702B4B22.02.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 22.02

  • OVG Rheinland-Pfalz - 24.01.2002 - AZ: OVG 1 A 11487/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juli 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1 037 713 € festgesetzt.

I


Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
Das Berufungsgericht ist bei der Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben, das den Gegenstand der Bauvoranfrage bildete, im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügte, nicht deshalb von einem falschen Sachverhalt ausgegangen, weil es "auf die Summe der zum ehemaligen MASSA-Komplex gehörenden Gebäude anstelle der für sich jeweils eigenständig in Erscheinung tretenden Gebäude abgestellt hat". Das Berufungsurteil wird ersichtlich nicht von der Vorstellung getragen, dass es sich bei dem MASSA-Markt um ein Einzelgebäude handelt. Das Berufungsgericht hat den Markt vielmehr als "Einkaufszentrum" qualifiziert (UA S. 11). Dem tritt der Beklagte nicht mit Rügen entgegen. Wie bei einem Einkaufszentrum das Nutzungsmaß zu bestimmen ist, ist keine Frage des Verfahrens-, sondern des materiellen Rechts, das im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur unter den in § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 genannten Voraussetzungen zum Prüfungsgegenstand gemacht werden kann. Im Übrigen lässt sich der Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts auch in der Sache nicht beanstanden. Bezugsobjekt für die Bestimmung des Nutzungsmaßes ist bei einem Einkaufszentrum nicht der einzelne baulich selbständige Einzelhandels-, Handwerks- oder Dienstleistungsbetrieb, der zusammen mit den anderen zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst ist, sondern der Gesamtkomplex.
Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz. Das Berufungsgericht hat die Erschließung als gesichert angesehen, weil es davon ausgegangen ist, dass zusätzliche Erschließungsmaßnahmen sich zwar als erforderlich erwiesen hätten, bis zur Aufnahme der beabsichtigten Nutzung aber zu erwarten gewesen seien. Im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gesichert ist die Erschließung dann, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass spätestens im Zeitpunkt der Fertigstellung oder der Ingebrauchnahme des Bauwerks eine Erschließungsanlage vorhanden sein wird, die den Verkehrserfordernissen unter Einschluss des vorhabenbedingten Zu- und Abgangsverkehrs gerecht wird. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, lässt sich nur prognostisch beurteilen. Der Beklagte stellt das vom Berufungsgericht getroffene Wahrscheinlichkeitsurteil über die Entwicklung der zukünftigen Verhältnisse in Frage. Er legt indes nicht dar, inwiefern die tatrichterliche Prognosebasis Mängel aufweist. Das Berufungsgericht hebt darauf ab, dass sich die Verkehrslage in dem betroffenen Raum durch die "inzwischen fertiggestellte Teilumgehung der Ortslage" entspannt habe (UA S. 16). Dahinstehen kann, ob der Überzeugungsgrundsatz, den der Beklagte als verletzt ansieht, hier dem Verfahrens- oder - wie regelmäßig - allein dem materiellen Recht zuzurechnen ist. Jedenfalls zeigt die Beschwerde nicht auf, wieso die neue Straßenverbindung, deren Verwirklichung sich nach den Angaben der Vorinstanz schon zur Zeit des von der Klägerin eingeleiteten Bauvorbescheidsverfahrens abzeichnete, unter dem Blickwinkel des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der nach § 34 Abs. 1 BauGB gebotenen Vorausschau hätte unberücksichtigt bleiben müssen.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die
ihr die Beschwerde beimisst.
2.1 Die Frage nach dem Beurteilungszeitpunkt einer Fortsetzungsfeststellungsklage, die der Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses dient, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass auch bei Erledigung eines Verpflichtungsbegehrens in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungsfeststellungsklage grundsätzlich statthaft ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Januar 1992 - BVerwG 7 C 24.91 - BVerwGE 89, 354 und vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247). Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage dieser Rechtsprechung festgestellt, "dass der Beklagte verpflichtet gewesen ist, bis zur Bekanntgabe des Zurückstellungsbescheides vom 5. März 1998 einen positiven Bauvorbescheid ... zu erteilen". Der Beklagte stellt nicht in Abrede, dass ein solcher Feststellungsausspruch keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dies anerkannt. Danach ist es einem Verpflichtungskläger im Falle des Übergangs von der Verpflichtungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage unbenommen, den Zeitraum zu bestimmen, zu dem ihm der geltend gemachte materiellrechtliche Anspruch zugestanden haben soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. März 1998 - BVerwG 4 C 14.96 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 296 und vom 28. April 1999 - BVerwG 4 C 4.98 - BVerwGE 109, 74). Der Beklagte räumt ferner ein, dass sich das Bundesverwaltungsgericht zu der Frage, welche Sach- und Rechtslage für die Entscheidung über die einer Verpflichtungsklage folgende Fortsetzungsfeststellungsklage maßgeblich ist, ebenfalls bereits geäußert hat. Danach ist, soweit sich nicht aus dem Feststellungsantrag ein anderer Beurteilungszeitpunkt ergibt, auf das erledigende Ereignis abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juli 1985 - BVerwG 3 C 25.84 - BVerwGE 72, 38; Beschluss vom 7. Mai 1996 - BVerwG 4 B 55.96 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 286). Der Beklagte zeigt nicht auf, in welcher Richtung diese Rechtsprechung korrektur- oder fortentwicklungsbedürftig sein könnte. Er weist lediglich darauf hin, dass es im Rahmen des von der Klägerin angekündigten Amtshaftungsprozesses für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns maßgeblich auf den Zeitpunkt ankomme, zu dem über die Bauvoranfrage bei ordnungsgemäßer Bearbeitung des Antrags hätte entschieden werden müssen (vgl. BGH, Urteile vom 23. September 1993 - III ZR 54/92 - NVwZ 1994, 405 und vom 9. Juni 1994 - III ZR 37/93 - NJW-RR 1994, 1171). Der von ihm angesprochenen Frage des "Verzögerungszeitraums" kommt in der Rechtsprechung der Zivilgerichte Bedeutung bei, weil von ihr abhängt, ob (objektiv) eine Amtspflichtverletzung vorliegt, die dem Amtswalter (subjektiv) zum Verschulden gereicht. Es bedarf indes nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu bekräftigen, dass diese Gesichtspunkte bei Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO keine Rolle spielen. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, im Rahmen eines Fortsetzungsfeststellungsverfahrens Prognosen über den Ausgang eines nicht offensichtlich aussichtslosen Haftungsprozesses anzustellen. Vielmehr ist die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegeben sind, den Zivilgerichten vorbehalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. November 1984 - BVerwG 2 C 56.81 - NVwZ 1985, 265 und vom 2. Oktober 1986 - BVerwG 2 C 31.85 - NVwZ 1987, 229; Beschluss vom 2. Oktober 1998 - BVerwG 4 B 72.98 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 299).
2.2 Die Frage, "ob von einem Einfügen in die nähere Eigenart der Umgebung dann nicht ausgegangen werden kann, wenn durch ein hinzutretendes Großvorhaben eine vorhandene und eindeutig korrekturbedürftige Verkehrssituation in einem Teil der Erschließungsstraße, über die der Verkehr abgewickelt werden soll, noch weiter erheblich verschlechtert wird", verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Der Beklagte trennt nicht in der rechtlich gebotenen Weise zwischen den Anforderungen, die sich aus dem im Einfügenserfordernis enthaltenen Rücksichtnahmegebot ergeben, und der auf die Sicherung der Erschließung bezogenen Tatbestandskomponente des § 34 Abs. 1 BauGB (vgl. zu dieser Unterscheidung BVerwG, Beschluss vom 20. April 2000 - BVerwG 4 B 25.00 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 199). Er kennzeichnet seine Frage als Problem des Rücksichtnahmegebots. Unter diesem Blickwinkel ist ein Vorhaben aber nur dann unzulässig, wenn es Zu- und Abgangsverkehr mit sich bringt, der der Nachbarschaft aus Gründen des Immissionsschutzes nicht zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C 6 und 7.85 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 120 und vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190). Der Beklagte macht selbst nicht geltend, dass der anhängige Rechtsstreit in dieser Hinsicht Klärungsbedarf erkennen lässt. Er wendet sich vielmehr dagegen, dass die Vorinstanz die Erschließung als gesichert angesehen hat, obwohl die Verkehrsbelastung nach ihren eigenen Feststellungen schon im Zeitpunkt der Bauvoranfrage ohne Berücksichtigung des dem Vorhaben der Klägerin zurechenbaren zusätzlichen Zu- und Abgangsverkehrs so hoch war, dass Abhilfemaßnahmen zwingend geboten erschienen. Selbst wenn das Berufungsurteil in diesem Punkt Anlass zur Kritik bieten mag, zeigt der Beklagte insoweit indes keinen Problemgehalt auf, der eine Revisionszulassung rechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die wegemäßige Erschließung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gesichert, wenn eine Erschließungsanlage zur Verfügung steht, die auch unter Einschluss der vorhabenbedingten zusätzlichen Belastungen so beschaffen ist, dass die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gewährleistet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 15.84 - BVerwGE 75, 34). Überlastungen schließen die Annahme einer ausreichenden Erschließung freilich nicht von vornherein aus. Unschädlich sind sie jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie gelegentlich oder zwar täglich, aber lediglich kurzfristig auftreten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269). Mit dieser Rechtsprechung lässt sich die vom Berufungsgericht vertretene Auffassung nicht vereinbaren. Eine Straße, die auch außerhalb der Spitzenzeiten und unabhängig von sonstigen Ausnahmesituationen den Verkehrsanforderungen nicht gewachsen ist, scheidet als geeignete Erschließungsanlage im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich aus. Im unbeplanten Innenbereich muss der Vorhabenträger in aller Regel mit dem Vorlieb nehmen, was er an Erschließung vorfindet. Dies beruht auf der Erwägung, dass nur selten mit einer Verbesserung der Erschließungssituation bis zur Fertigstellung des Bauwerks zu rechnen ist. Der Senat hätte indes keinen Anlass, dem weiter nachzugehen. Die Fragen, die mit diesem Problemkreis zusammenhängen, bedürften in dem vom Beklagten erstrebten Revisionsverfahren keiner Vertiefung, weil es auf sie rechtlich nicht ankäme. Das Berufungsgericht ist nämlich nicht bei der Feststellung stehen geblieben, dass die Bauvoranfrage des Klägers in eine Zeit fiel, als die Verkehrssituation im Bereich der Industriestraße zu wünschen übrig ließ. Es hat vielmehr berücksichtigt, dass sich seinerzeit bereits eine durchgreifende Besserung in Gestalt der projektierten Teilumgehung der Ortslage abzeichnete, die für die Zeit der Nutzungsaufnahme eine ausreichende verkehrsmäßige Erschließung erwarten ließ. Der Beklagte bringt zwar gegen diese Prognose Einwände vor. Seine insoweit erhobene Verfahrensrüge greift aber, wie dargelegt, nicht durch.

II


Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.