Beschluss vom 02.02.2006 -
BVerwG 6 B 3.06ECLI:DE:BVerwG:2006:020206B6B3.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.02.2006 - 6 B 3.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:020206B6B3.06.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 3.06

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 28.10.2005 - AZ: 13 A 3782/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und V o r m e i e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (1.) und eines Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 1. Die Beschwerde ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Die angebliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung vermag als solche die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO <n.F.> Nr. 26 S. 14 m.w.N.). Daran gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

4 Die Klägerin hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob "ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (analog) für eine Fortsetzungsfeststellungsklage, die ein Wettbewerber eines marktbeherrschenden Unternehmens auf einem Markt der Telekommunikation erhoben hat, zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gegeben (ist), wenn die ursprünglich erhobene Anfechtungs- bzw. Verpflichtungsklage gegen eine Entscheidung der Beklagten, mit der ein Verfahren der nachträglichen Entgeltregulierung nach dem Telekommunikationsgesetz gegenüber dem marktbeherrschenden Unternehmen eingestellt wurde, nach Klageerhebung dadurch unzulässig wird, dass sich der angegriffene (verfahrenseinstellende) Verwaltungsakt der Beklagten erledigt hat, weil das marktbeherrschende Unternehmen die der Entscheidung der Beklagten im Verfahren der nachträglichen Entgeltregulierung zugrundeliegenden Entgelte und/oder Leistungen zwischenzeitlich verändert hat". Soweit diese Frage einer über den Einzelfall hinausgehenden Antwort zugänglich ist, kann sie die Revisionszulassung deshalb nicht rechtfertigen, weil sie beantwortet werden kann, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Dies ist nach der Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 11. Oktober 2000 - BVerwG 6 B 47.00 - Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 m.w.N.). So liegt es hier.

5 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines nach Klageerhebung erledigten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. Entscheidend ist, dass die gerichtlicher Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Antragstellers in den genannten Bereichen zu verbessern. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts ist unter bestimmten Voraussetzungen anzuerkennen, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einem schutzwürdigen Rehabilitationsinteresse Rechnung zu tragen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, einen Schadensersatzprozess vorzubereiten oder einer tiefgreifenden Grundrechtsverletzung zu begegnen (stRspr, vgl. z.B.: Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 2 C 4.97 - Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 113 S. 16 f.; Beschluss vom 30. April 1999 - BVerwG 1 B 36.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 6 S. 13 f.; Beschluss vom 18. Juli 2000 - BVerwG 1 WB 34.00 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 11 S.  22 ff.; jeweils m.w.N.). Aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) folgt nichts anderes. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsweg nicht nur bei aktuell anhaltenden, sondern grundsätzlich auch bei Rechtsverletzungen, die in der Vergangenheit erfolgt sind, allerdings unter dem Vorbehalt eines darauf bezogenen Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 - 1 BvR 461/03 - BVerfGE 110, 77 <85>). Es steht grundsätzlich mit Art. 19 Abs. 4 GG im Einklang, wenn bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes ein Fortfall des Rechtsschutzinteresses angenommen wird. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gewährleistet nicht, dass die Gerichte generell auch dann noch weiter in Anspruch genommen werden können, um Auskunft über die Rechtslage zu erhalten, wenn damit aktuell nichts mehr bewirkt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 - 2 BvR 527/99 u.a. - BVerfGE 104, 220 <232>). Deshalb läuft es nicht Art. 19 Abs. 4 GG zuwider, wenn ein Rechtsschutzinteresse nur bei Vorliegen eines berechtigten Interesses in dem dargestellten Sinn angenommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004, a.a.O., 85 f. m.w.N.). Diese Grundsätze finden auch bei Fortsetzungsfeststellungsklagen gegen erledigte telekommunikationsrechtliche Verwaltungsakte Anwendung. Solche Verwaltungsakte sind nicht durch wesentliche Besonderheiten gekennzeichnet, die über die genannten Fallgestaltungen hinaus die Anerkennung eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit erforderten. Ob im Einzelfall die Voraussetzungen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses gegeben sind, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

6 Die Revision ist auch nicht zur Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen im Zusammenhang mit dem - vom Oberverwaltungsgericht verneinten - berechtigten Interesse an der Feststellung eines erledigten Verwaltungsakts wegen Wiederholungsgefahr zuzulassen. Ein solches Interesse setzt, wie das Bundesverwaltungsgericht wiederholt ausgesprochen hat, die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. Beschluss vom 16. Oktober 1989 - BVerwG 7 B 108.89 - Buchholz 310 § 113 VwGO, Nr. 211 S. 41 <m.w.N.>; Beschluss vom 21. Oktober 1999 - BVerwG 1 B 37.99 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 7 S. 15). Ob die Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind und die hinreichend bestimmte Gefahr des Ergehens eines gleichartigen Verwaltungsakts besteht, ist in der Regel - wie auch hier - eine Frage des Einzelfalles und nicht grundsätzlich klärungsfähig. Es ist deshalb im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, ob das Oberverwaltungsgericht zu Unrecht, wie die Klägerin meint, angenommen hat, dass sich die Umstände im Wesentlichen geändert haben.

7 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen.

8 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Klägerin ist der Auffassung, das Oberverwaltungsgericht habe das Feststellungsinteresse zu Unrecht verneint. Entscheidet ein Berufungsgericht, dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage wegen Fehlens eines berechtigten Interesses an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts unzulässig ist, so liegt ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, wenn in der Sache hätte entschieden werden müssen (vgl. Beschluss vom 17. Dezember 2001 - BVerwG 6 B 61.01 - NVwZ-RR 2002, 323 <325> m.w.N.). Dies ist hier aber nicht der Fall.

9 Das Oberverwaltungsgericht hat das Fortsetzungsfeststellungsinteresse u.a. mit der Erwägung verneint, im Vergleich zu den tatsächlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt des angefochtenen Einstellungsbeschlusses hätten sich die tatsächlichen Umstände deshalb wesentlich geändert, weil die streitigen Entgelte sich sowohl hinsichtlich der Struktur als auch mit Blick auf ihre Höhe und den Leistungsinhalt wesentlich geändert hätten; ferner hätten sich auch die Marktverhältnisse zugunsten der Wettbewerber der Beigeladenen fortentwickelt. Dies wird in dem angefochtenen Beschluss, zum Teil unter Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung, im Einzelnen dargelegt (Umdruck S. 8 und S. 18 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen werden von der Klägerin nicht angegriffen. Sie rechtfertigen die Annahme, dass sich seit dem Einstellungsbeschluss die die streitigen Entgelte betreffenden Umstände so wesentlich geändert haben, dass aus einer möglichen Beanstandung des Einstellungsbeschlusses keine wesentlichen Schlüsse darauf gezogen werden könnten, ob hinsichtlich der nunmehr verlangten einschlägigen Entgelte die Voraussetzungen einer Regulierungsverfügung insbesondere nach § 39 Abs. 3 Satz 1 und 2 i.V.m. § 38 Abs. 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl I S. 1190) - TKG 2004 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Juli 2005 (BGBl I S. 1970), vorliegen. Soweit die Klägerin die Vermutung äußert, dass die nunmehr verlangten Entgelte nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprächen, sagt dies nichts darüber aus, dass die hier relevanten tatsächlichen Umstände im Wesentlichen unverändert geblieben sind.

10 Das Oberverwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass sich die rechtlichen Gegebenheiten hinsichtlich der nachträglichen Entgeltkontrolle wesentlich geändert haben. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes vom 25. Juli 1996 (BGBl I S. 1120) - TKG 1996 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718), hatten sich die Entgelte an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung zu orientieren und den Anforderungen von § 24 Abs. 2 TKG 1996 zu entsprechen. Nach nunmehr geltender Rechtslage unterliegen Entgelte lediglich einer Missbrauchskontrolle (§ 28 Abs. 1 Satz 1 TKG 2004). Auch diese Änderung des Maßstabes der Überprüfung der Entgelte schließt es im vorliegenden Fall aus, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen Wiederholungsgefahr anzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass sowohl nach § 24 Abs. 2 TKG 1996 als auch nach § 28 Abs. 1 TKG 2004 nicht in jeder Hinsicht den gesetzlichen Maßstäben entsprechende Entgelte nicht zu beanstanden sind, wenn dafür ein sachlich gerechtfertigter Grund bzw. eine sachliche Rechtfertigung nachgewiesen wird. Denn die Frage nach einer sachlichen Rechtfertigung stellt sich nur unter der Voraussetzung, dass sich eine Abweichung des Entgelts von den gesetzlichen Maßstäben ergibt, die nach altem und nach neuem Recht nicht dieselben sind.

11 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 152 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.