Beschluss vom 01.12.2005 -
BVerwG 3 B 75.05ECLI:DE:BVerwG:2005:011205B3B75.05.0

Beschluss

BVerwG 3 B 75.05

  • VGH Baden-Württemberg - 01.03.2005 - AZ: VGH 9 S 943/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. März 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 470 679,24 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

2 Die Klägerin sieht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob § 71 SGB V zu einer zusätzlichen Kappung des über § 6 BPflV ermittelten Gesamtbetrages der Erlöse - einschließlich der Sondertatbestände in § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV - führen kann, wenn der Steigerungsbetrag des § 71 Abs. 2 SGB V überschritten wird. Die Klägerin meint, die Ausdeckelungstatbestände des § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV wie etwa die Schaffung zusätzlicher Kapazitäten für medizinische Leistungen dürften nur dann zu einer Erhöhung der durch den Gesamtbetrag des Vorjahres und die maßgebliche Veränderungsrate bestimmten Erlösobergrenze führen, wenn die Kappungsregeln des § 71 Abs. 2 SGB V eingehalten seien. Die damit aufgeworfene Frage rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision, weil die Antwort sich unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz ergibt, ein in einem Revisionsverfahren zu deckender Klärungsbedarf also nicht besteht.

3 Gesetzliche Grundlage für die Festlegung der Pflegesätze ist § 17 KHG. In diesem Rahmen bestimmt § 17 Abs. 1 Satz 3 KHG, dass bei der Ermittlung der Pflegesätze der Grundsatz der Beitragssatzstabilität (§ 71 Abs. 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) zu beachten ist. Mit ihrem Klammerzusatz nimmt diese Norm ausschließlich Bezug auf § 71 Abs. 1 SGB V, nicht aber auf den von der Klägerin angezogenen § 71 Abs. 2 SGB V. Da für ein gesetzgeberisches Versehen insoweit keinerlei Anhaltspunkte erkennbar sind, steht schon dies der Heranziehung des § 71 Abs. 2 SGB V bei der Festlegung von Krankenhauspflegesätzen entgegen.

4 Es kommt hinzu, dass das Krankenhausfinanzierungsrecht präzise Vorgaben für die Einhaltung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität im Krankenhausbereich enthält. § 3 Abs. 1 Satz 5 BPflV bestimmt, dass der Grundsatz der Beitragssatzstabilität "nach den Vorgaben des § 6" zu beachten ist. Im § 6 Abs. 1 Satz 3 BPflV heißt es, Maßstab für die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität sei die Veränderungsrate der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen je Mitglied nach § 71 Abs. 3 Satz 1 und 4 i.V.m. Abs. 2 SGB V. Daran schließt sich die Regelung der Ausdeckelungstatbestände in Satz 4 an. Dieses Regelungssystem hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Oktober 2002 - BVerwG 3 C 38.01 - NVwZ-RR 2003 S. 510 dahin bewertet, dass § 6 Abs. 1 BPflV 1997 den für die Beachtung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität geltenden Maßstab konkretisiere. Daran hat sich durch die Neufassung des § 71 SGB V im Rahmen des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2626) nichts geändert.

5 Zu Unrecht hebt die Klägerin in diesem Zusammenhang auf den unterschiedlichen Rang der in Rede stehenden Rechtsquellen ab. Sie meint, da § 71 SGB V ein formelles Gesetz und § 6 BPflV nur Teil einer Rechtsverordnung sei, gehe die erstere Bestimmung in jedem Fall vor und könne durch die Bundespflegesatzverordnung weder eingeschränkt noch außer Kraft gesetzt werden. Die Klägerin übersieht hierbei, dass sowohl § 71 SGB V als auch § 17 Abs. 1 Satz 4 KHG und § 6 BPflV in ihrer hier jeweils maßgeblichen Fassung vom parlamentarischen Gesetzgeber in einem einzigen Gesetzgebungsakt geschaffen worden sind. Es bedarf keiner Erörterung der Frage, welche Bedeutung diese Tatsache für den Rechtscharakter der in Rede stehenden Vorschriften der Bundespflegesatzverordnung hat (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. September 2005 - 2 BvF 2/03 - juris Rn. 193 ff.). Darauf kommt es hier nicht an. Jedenfalls muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber die einzelnen Teile eines solchen Gesetzespaketes aufeinander abgestimmt hat. Die in der Verordnung enthaltenen Regelungen können daher nicht mit dem Argument ausgehebelt werden, sie durchbrächen den im Gesetz allgemein niedergelegten Grundsatz. Vielmehr muss bei einer solchen Gestaltung angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Grundsatz von vornherein nur mit entsprechenden Einschränkungen hat in Kraft setzen wollen. Dies wird durch das spätere Verhalten des Gesetzgebers bestätigt. Im GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hatte § 71 Abs. 1 Satz 1 SGB V noch die Vereinbarungen über die Vergütungen nach diesem Buch und dem Krankenhausfinanzierungsgesetz sowie den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen erwähnt. Die Bezugnahme auf das Krankenhausfinanzierungsgesetz sowie die nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen ist durch Art. 1 Nr. 2 des Fallpauschalengesetzes vom 23. April 2002 (BGBl I S. 1412) gestrichen worden. Dies geschah ausdrücklich um klarzustellen, dass für die Geltung des Grundsatzes der Beitragsstabilität im Krankenhausbereich die Vorgaben des Krankenhausfinanzierungsgesetzes und der auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie des Krankenhausentgeltgesetzes maßgeblich sind (BTDrucks 14/6893 S. 29). Damit hat der Gesetzgeber selbst deutlich gemacht, dass zur Umsetzung des Grundsatzes der Beitragssatzstabilität im Krankenhausbereich § 71 SGB V - mit Ausnahme der Bestimmungen über die maßgebliche Veränderungsrate - keine Grundlage bietet (ebenso Hess in: Kasseler Kommentar, SGB V, § 71 Rn. 6).

6 Das Beschwerdevorbringen der Klägerin lässt erkennen, dass sie über die formulierte Rechtsfrage hinaus Klärungsbedarf bei der Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit der Erhöhung der Erlösobergrenze sieht. Sie meint, das Berufungsgericht habe im Rahmen dieses Merkmals die Möglichkeit der Nutzung von Wirtschaftlichkeitsreserven unrichtig eingeordnet. Auch diese Überlegungen rechtfertigen jedoch nicht die Zulassung der Revision, weil der Senat die sich insoweit stellenden Fragen bereits in seinem Urteil vom 8. September 2005 - BVerwG 3 C 41.04 - beantwortet hat. Dort ist ausgesprochen, dass die Anhebung der Erlösobergrenze wegen Erfüllung eines Ausdeckelungstatbestandes nach § 6 Abs. 1 Satz 4 BPflV nicht dadurch ausgeschlossen oder reduziert wird, dass das Krankenhaus an anderer Stelle etwa durch Verkürzung der Verweildauern Einsparungen erzielt, solange das medizinisch-leistungsgerechte Budget die Erlösobergrenze übersteigt. Etwaige Einsparpotenziale des Krankenhauses sind daher bei der Ermittlung des medizinisch-leistungsgerechten Budgets nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BPflV zu berücksichtigen. Dieses ist sodann in einem zweiten Schritt an der nach § 6 Abs. 1 Satz 3 und 4 BPflV ermittelten Erlösobergrenze zu messen. Für die von der Klägerin für richtig gehaltene unmittelbare Verrechnung von Einsparpotenzialen einerseits und Kostensteigerungen infolge der Verwirklichung von Ausdeckelungstatbeständen andererseits ist daher kein Raum.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.