Beschluss vom 01.11.2002 -
BVerwG 1 B 10.02ECLI:DE:BVerwG:2002:011102B1B10.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.11.2002 - 1 B 10.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:011102B1B10.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 10.02

  • Bayerischer VGH München - 19.09.2001 - AZ: VGH 19 B 96.35736

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. November 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. September 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht habe offen gelassen, ob der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, angesichts seiner exilpolitischen Betätigung in Deutschland durch iranische Stellen persönlich identifiziert werden konnte; das Berufungsgericht sei damit seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen (§ 86 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO); der Kläger habe zwar keinen Beweisantrag gestellt; das Gericht hätte die Frage der Identifizierbarkeit aber von sich aus klären müssen. Mit diesem Vorbringen ist ein Aufklärungsmangel nicht schlüssig bezeichnet. Die Beschwerde geht selbst davon aus, dass die Frage der Identifizierbarkeit für das Berufungsgericht, das die exilpolitische Betätigung des Klägers insgesamt als "eher unbedeutend" beurteilt hat, nicht entscheidungserheblich war (vgl. UA S. 10 und 17). Ein Aufklärungsmangel kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn sich der Vorinstanz nach deren materiellrechtlicher Auffassung eine weitere Erforschung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen.
Aus ähnlichen Gründen - von anderen Gründen abgesehen - kann auch die von der Beschwerde behauptete Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beschwerde bezieht sich auf Rechtsprechung, nach der Tatsachengerichte zur Aufklärung des Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit verpflichtet seien. Die Beschwerde verkennt, dass diese Verpflichtung nur im Hinblick auf Fragen bestehen kann, die nach Auffassung des betreffenden Tatsachengerichts entscheidungserheblich sind.
Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe den Kläger nicht darauf hingewiesen, dass es die Frage der Identifizierbarkeit offen lassen wolle, und dadurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), trifft ebenfalls nicht zu. Das Gericht ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Beteiligten vorab auf seine Würdigung des Prozessstoffs und seine Schlussfolgerungen daraus hinzuweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr; vgl. etwa Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 - Buchholz 310 § 108 Nr. 87). Etwas anderes mag zwar dann gelten, wenn das Gericht auf Gesichtspunkte abstellen will, mit denen ein gewissenhafter und sachkundiger Prozessbeteiligter aufgrund des bisherigen Prozessverlaufs nicht zu rechnen brauchte (so genannte Überraschungsentscheidung). Dass derartige Umstände hier vorliegen, legt die Beschwerde indes nicht dar.
Auch die Grundsatzrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) führen nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde hält zunächst die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob Nachfluchtaktivitäten größeren Umfangs, wie vom Kläger geschildert, die jedoch für sich keine politische Verfolgung auslösen würden, weil allein durch sie der Kläger auch in den Augen iranischer Stellen nicht als ernsthafter Regimegegner erkennbar sei, wegen des früheren Auffällig-Werdens und der dadurch deutlich werdenden Kontinuität der oppositionellen Haltung ausnahmsweise doch zu einer Verfolgung aus politischen Gründen und damit einer menschenrechtswidrigen Behandlung führen können. Diese Frage führt nicht auf eine vom Revisionsgericht zu klärende Rechtsfrage, sondern auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland. Abgesehen davon würde sich diese Frage in einem Revisionsverfahren schon deshalb nicht stellen, weil sie von tatsächlichen Annahmen ausgeht, die so vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden sind. Das Berufungsgericht bezieht sich in dem angesprochenen Zusammenhang auf die rechtskräftig gewordene Entscheidung des Verwaltungsgerichts zum Asylbegehren des Klägers gemäß Art. 16 a GG (UA S. 7). Das Verwaltungsgericht hatte zur Frage der Vorverfolgung entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht festgestellt, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus dem Iran politisch auffällig geworden sei bzw. eine oppositionelle Haltung zum herrschenden Regime gezeigt habe. Hinsichtlich der vom Kläger angegebenen Inhaftierung im Jahre 1980 im Zusammenhang mit einem Fischerei-Aufstand hatte das Verwaltungsgericht ausgeführt, die politischen Verhältnisse im Iran seien 1979/1980 "gänzlich andere (gewesen) als derzeit" (UA S. 9). Hinsichtlich der Inhaftierung des Klägers im Jahre 1985 hatte das Verwaltungsgericht dargelegt, der Kläger habe an keiner Stelle vorgetragen, dass die Inhaftierung "etwa aus politischen Gründen erfolgt" sei (UA S. 9). Im Hinblick auf die vom Kläger behauptete "Beobachtung" vor seiner Ausreise hatte das Verwaltungsgericht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben geäußert und die Beobachtung im Übrigen als asylrechtlich irrelevant beurteilt (UA S. 9 f.).
Ähnliches gilt für die zweite von der Beschwerde aufgeworfene Grundsatzfrage, ob nicht "bei niedrigschwelligem Engagement" eine Gesamtschau sämtlicher Umstände eine Gefährdung "herbeiführen" könne, eine Gesamtschau, in die insbesondere der berufliche Werdegang, frühere Auslandsaufenthalte, regimekritisches Engagement vor der Ausreise, exilpolitische Tätigkeit, Mitgliedschaft in Organisationen sowie Glaubensüberzeugungen einzubeziehen seien. Auch diese Frage bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Das Berufungsgericht ist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des beschließenden Senats davon ausgegangen, dass bei einer "qualifizierenden" Betrachtungsweise hinsichtlich der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG alle bekannten und asylrechtlich erheblichen Umstände zu gewichten und abzuwägen seien (UA S. 7). Im Übrigen geht die Beschwerde auch in diesem Zusammenhang - wie bei der ersten Grundsatzfrage - von tatsächlichen Annahmen aus, die von den Vorinstanzen so nicht festgestellt worden sind (politische Auffälligkeit 1980 bzw. 1985, Beobachtung vor der Ausreise).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.