Beschluss vom 01.08.2007 -
BVerwG 2 B 15.07ECLI:DE:BVerwG:2007:010807B2B15.07.0

Beschluss

BVerwG 2 B 15.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 15.11.2006 - AZ: OVG 6 A 131/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kugele und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 9 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 127 BRRG gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 Das Berufungsgericht hat die gegen den Beklagten auf Schadensersatz gerichtete Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe es nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB schuldhaft versäumt, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Unter den Begriff des Rechtsmittels fielen alle förmlichen und nichtförmlichen Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung richteten, deren Beseitigung oder Berichtigung bezweckten und der Abwendung des Schadens dienten. Zwar gehöre dazu auch die formlose Gegenvorstellung, doch dürfe sich der Geschädigte grundsätzlich nicht ohne nachteilige Folgen auf formlose Rechtsbehelfe beschränken, wenn auch förmliche Rechtsbehelfe zulässig seien. Die Anwendung des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB führe zur völligen Haftungsfreistellung, so dass es zu keiner Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge i.S.d. § 254 BGB mehr komme.

3 Der Kläger hält es in diesem Zusammenhang für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,

4 1. ob „der Umstand, dass ein Beamter keinen schriftlichen Antrag auf Bewilligung einer von ihm begehrten Leistung gestellt hat, ... nicht im Rahmen der Prüfung der Anforderungen des § 839 Abs. 3 BGB, sondern allenfalls bei der Prüfung eines Mitverschuldens i.S.d. § 254 BGB rechtlich bedeutsam (sei), da sich ein Antrag auf Bewilligung eines begünstigenden Verwaltungsaktes nicht gegen eine bestimmte Amtshandlung richtet, hier also eine erteilte Auskunft, sondern ein neues selbständiges Verfahren einleitet,“

5 2. ob „ein Beamter, dem gegenüber der Dienstherr eine rechtlich unzutreffende Auskunft erteilt hat, den Anforderungen des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB (genügt), wenn er gegenüber der die unrichtige Auskunft erteilenden Amtswalterin Einwendungen/eine Gegenvorstellung erhebt oder ... ein Beamter nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB darüber hinaus verpflichtet (ist), ‚stärkere’ d.h. förmliche Rechtsbehelfe einzureichen,“

6 3. ob „es zu den Sorgfaltspflichten eines Beamten des gehobenen Dienstes (gehört), Rechtsauskünfte des zuständigen Sachbearbeiters/der zuständigen Sachbearbeiterin zu hinterfragen bzw. vorsorglich fristwahrende Rechtsmittel einzureichen, auch wenn er sich gerade wegen seiner fehlenden Kenntnisse an die für ihn zuständige Fachbehörde gewandt hat und er die ihm erteilte Auskunft zwar nicht für befriedigend, aber für schlüssig angesehen hat.“

7 Keine der Fragestellungen ist von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 127 BRRG. Danach hat eine Rechtssache nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie grundsätzliche, bisher höchstrichterlich noch nicht geklärte Rechtsfragen aufwirft, deren im künftigen Revisionsverfahren zu erwartende Entscheidung der Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts zu dienen geeignet ist (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr).

8 Die erste Frage hat der Senat bereits entschieden (vgl. Urteile vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - BVerwGE 107, 29 <31> m.w.N. und vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 2 C 22.97 - Buchholz 237.2 § 12 BlnLBG Nr. 2) und im Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C 26.03 - (Buchholz 237.8 § 10 RhPLBG Nr. 1) erneut klargestellt, dass die Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nach dem auch im Beamtenrecht geltenden Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB nicht eintritt, wenn der Verletzte mögliche Rechtsbehelfe unmittelbar gegen die beanstandete Entscheidung, insbesondere gerichtlichen Rechtsschutz nach Durchführung des Vorverfahrens, ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat.

9 Die zweite Frage könnte in einem Revisionsverfahren nicht entschieden werden. Denn das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Kläger gegenüber der zuständigen Stelle Einwendungen oder Gegenvorstellung erhoben hat. Zwar ist hiervon das Verwaltungsgericht ausgegangen, das Berufungsgericht hat dies jedoch ausdrücklich offengelassen. Auf S. 11 des Urteilsabdrucks heißt es: „Die Erhebung von Gegenvorstellungen - einmal unterstellt, der Kläger habe solche tatsächlich erhoben - war im vorliegenden Falle nicht ausreichend.“ Der Kläger hat keine Verfahrensrüge wegen unzureichender Sachverhaltsaufklärung erhoben, so dass das Revisionsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO nicht davon ausgehen kann, dass der Kläger formlose Rechtsbehelfe erhoben hat. Davon abgesehen hat der Senat im Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C 26.03 - (a.a.O.) unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 28. Mai 1998 - BVerwG 2 C 29.97 - (a.a.O. S. 32) bekräftigt, dass der zeitnah in Anspruch genommene Primärrechtsschutz nach Durchführung des Vorverfahrens am ehesten zur Aufklärung und Würdigung komplexer Verwaltungsentscheidungen geeignet ist.

10 Die dritte Frage entbehrt ebenfalls der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 127 BRRG; denn sie betrifft den Einzelfall und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Ob es der Schadensersatz beanspruchende Beamte schuldhaft unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen, hängt davon ab, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von einem Angehörigen des Verkehrskreises verlangt werden muss, dem er angehört (Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C 26.03 - a.a.O.; vgl auch BGH, Urteil vom 15. November 1990 - III ZR 302/89 - BGHZ 113, 17 <25>). Daraus folgt, dass das Maß an Umsicht und Sorgfalt, das von dem Verletzten verlangt werden muss, in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen ist. Es lässt sich nicht abstrakt bestimmen, etwa indem lediglich auf das Statusamt des Beamten oder sein abstraktes Funktionsamt abgestellt wird. Vielmehr ist bei einem Beamten im Rahmen eines Sachverhalts, wie er hier zu entscheiden ist, u.a. auf das ihm im maßgeblichen Zeitraum übertragene konkrete Amt, seine Ausbildung sowie seine bisherige berufliche Erfahrung abzustellen.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 3 GKG.