Beschluss vom 01.02.2005 -
BVerwG 7 B 115.04ECLI:DE:BVerwG:2005:010205B7B115.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 115.04

  • OVG des Saarlandes - 08.06.2004 - AZ: OVG 3 R 2/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Februar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K r a u ß und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des
  2. Saarlandes vom 8. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
  3. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 000 € festgesetzt.

Die Kläger begehren die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, durch eine Entwässerungsleitung, die ihr - der Kläger - Grundstück durchquert, andere Abwässer als diejenigen eines bestimmten Anwesens abzuleiten. Die Beklagte hatte die Leitung im Einverständnis der Voreigentümer durch das (seinerzeit unbebaute) Grundstück der Kläger verlegt, um ein einzelnes Anwesen an die gemeindliche Kanalisation anzuschließen. Nach Erwerb des Grundstücks stießen die Kläger bei Ausschachtungsarbeiten für ein Bauvorhaben im Jahre 1991 auf die Entwässerungsleitung, von der sie bis dahin keine Kenntnis hatten. In Absprache mit den Klägern verlegte die Beklagte die Entwässerungsleitung tiefer, so dass sie die genehmigte Bebauung des Grundstücks nicht mehr hinderte. Im Jahre 2000 beschloss die Beklagte einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan zu Gunsten eines Vorhabens der Beigeladenen. Das Neubaugebiet soll über die Leitung im Grundstück der Kläger entwässert werden.
Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte auf einen Hilfsantrag der Kläger verurteilt, es zu unterlassen, durch die Entwässerungsleitung im Grundstück der Kläger andere Abwässer als diejenigen des ursprünglich angeschlossenen Anwesens abzuleiten. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch das angefochtene Urteil die Klage auch mit dem Hilfsantrag abgewiesen. Es hat angenommen, Rechtsgrundlage für den Unterlassungsanspruch sei § 1004 Abs. 1 BGB. Das Eigentum der Kläger werde nur durch das Vorhandensein der Entwässerungsleitung als solcher beeinträchtigt, nicht aber dadurch, dass durch sie Abwässer anderer Herkunft als von dem ursprünglich allein angeschlossenen Anwesen durchgeleitet würden. Die Kläger könnten die Unterlassung einer Durchleitung von Abwässern anderer Herkunft nur als Minus zu einem Anspruch auf Beseitigung der Abwasserleitung verlangen. Einen solchen Anspruch hätten sie aber nicht, weil er verwirkt sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Die Kläger halten zum einen die Frage für klärungsbedürftig, ob auch die Durchleitung von Abwasser durch ein im Eigentum der Gemeinde stehendes Rohr das Eigentum an dem Grundstück im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB beeinträchtigt. Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Soweit die Antwort nicht ohnehin in den tatsächlichen Umständen des jeweiligen Einzelfalles gesucht werden muss, liegt sie auf der Hand und muss deshalb nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden.
Die Kläger knüpfen mit ihrer Frage an die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts an, die Nutzung des vorhandenen Abwasserkanals stelle im Verhältnis zu dessen Existenz für sich genommen (abstrakt) keine (weitere) Beeinträchtigung des Eigentums dar, die Gegenstand eines selbstständigen Unterlassungsanspruchs sein könne. Ob diese Auffassung in ihrer Allgemeinheit richtig ist, kann offen bleiben. Denn das Oberverwaltungsgericht hat darüber hinaus in Würdigung der konkreten Verhältnisse festgestellt, dass sich der Anschluss weiterer Grundstücke an die Abwasserleitung und die damit einhergehende Durchleitung weiteren Abwassers auf das Grundstück der Kläger und dessen Nutzung tatsächlich nicht nachteilig auswirken. Es versteht sich aber von selbst, dass unter dieser tatsächlichen Voraussetzung eine Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB im Ergebnis selbst dann nicht zu besorgen ist, wenn auch die Nutzung einer vorhandenen Abwasserleitung rechtlich als selbstständige Beeinträchtigung des Eigentums in Betracht kommen sollte.
2. Die Kläger möchten ferner die Frage geklärt wissen, ob der längere Zeitraum, während dessen der Berechtigte als Voraussetzung einer Verwirkung seines Anspruchs untätig geblieben sein muss, auch dann an den "Kernanspruch" - d.h. den Anspruch auf Beseitigung des Abwasserrohrs - anknüpft, wenn dieser Anspruch vertraglich oder gesetzlich funktional eingeschränkt ist.
Die Kläger nehmen mit ihrer Frage den rechtlichen Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts hin. Von ihm ausgehend beantwortet sich die Frage wiederum von selbst, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Weil die Durchleitung weiteren Abwassers durch die vorhandene Entwässerungsleitung nicht Gegenstand eines selbstständigen Unterlassungsanspruchs sein könne, kommt es nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts darauf an, ob die Kläger die Beseitigung der Abwasserleitung verlangen könnten, denn dann könnten sie als ein Minus auch verlangen, dass die Entwässerungsleitung nicht über das bisherige Maß hinaus genutzt wird. Im Gegensatz zum Oberverwaltungsgericht meinen die Kläger aber, dass ihr auf dieses Minus gerichteter Unterlassungsanspruch einer eigenständigen Verwirkung zugänglich sei, also nur dann verwirkt sein könne, wenn seit der ersten Möglichkeit, den auf das Minus gerichteten Anspruch geltend zu machen, längere Zeit verstrichen sei, ohne dass die Kläger rechtswahrend tätig geworden wären. Nach Auffassung der Kläger darf deshalb die Verwirkung nur an ihre Kenntnis von der Absicht der Beklagten anknüpfen, die vorhandene Abwasserleitung für die Entwässerung des geplanten Neubaugebiets zu nutzen. Insoweit haben die Kläger allerdings (unstreitig) von vornherein keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie eine Nutzung der vorhandenen Entwässerungsleitung über das bisherige Maß hinaus mit rechtlichen Mitteln bekämpfen werden. Träfe die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zu, bestünde der Anspruch der Kläger auf Unterlassen der Durchleitung weiteren Abwassers jedoch nicht mehr, wenn der Anspruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung (der "Kernanspruch" in der Terminologie der Kläger) verwirkt wäre. Ein "Minus" könnten die Kläger auch nur dann beanspruchen, wenn der Anspruch als solcher noch durchsetzbar wäre. Folgerichtig hat das Oberverwaltungsgericht deshalb darauf abgestellt, ob die Kläger nach Kenntnis von der Existenz der Entwässerungsleitung den Eindruck haben entstehen lassen, dass sie sich mit der Entwässerungsleitung abgefunden haben und auf ihre Beseitigung nicht mehr zurückkommen werden.
Die Kläger werfen dem Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang vor, es verstoße gegen die Denkgesetze. Den Klägern ist einzuräumen, dass die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zumindest missverständlich sind. Das Oberverwaltungsgericht nimmt einerseits an, die Kläger hätten mit Kenntnis von der Existenz der Entwässerungsleitung ihren Anspruch auf deren Beseitigung geltend machen können, damit aber über neun Jahre zugewartet. Andererseits ist das Oberverwaltungsgericht der Ansicht, die Beklagte hätte aufgrund dieses langen Zuwartens der Kläger darauf vertrauen dürfen, dass die Kläger ihren Anspruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung nicht mehr geltend machen. Dieses Vertrauen ist nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts mit Blick auf die Investitionen geschützt, welche die Beklagte für die Tieferlegung der Leitung aufgewandt hat. Dies ist, wie den Klägern einzuräumen ist, missverständlich, wenn nicht widersprüchlich, weil die Beklagte ihr Vertrauen bereits betätigt hatte, bevor die Kläger längere Zeit haben verstreichen lassen, ohne ihren Anspruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung geltend zu machen, und damit bevor der Vertrauenstatbestand überhaupt gesetzt war. Indem die Kläger diesen Widerspruch darlegen, haben sie aber auch nicht sinngemäß eine Frage grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen.
Verwirkung eines Rechts ist nur eine von den unterschiedlichen Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben. Die Ausübung eines Rechts kann nach Treu und Glauben auch aus anderen Gründen unzulässig sein als aus denen, die zu seiner Verwirkung führen. Hierzu gehört auch der Einwand, der Rechtsinhaber setze sich treuwidrig zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch. Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem anerkannt (vgl. etwa Beschluss vom 13. August 1996 - BVerwG 4 B 135.96 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 135). Der Sache nach hat das Oberverwaltungsgericht hierauf abgestellt. Für das Oberverwaltungsgericht war allein entscheidend, dass die Kläger in Kenntnis der sie beeinträchtigenden Entwässerungsleitung es widerspruchslos hingenommen haben, dass die Beklagte weitere Investitionen tätigte, nämlich die Leitung tiefer legte. Die Kläger haben nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die Beklagte durch ihr Einverständnis mit dieser Baumaßnahme darin bestärkt, dass es mit der Tieferlegung der Entwässerungsleitung sein Bewenden haben sollte. Hierzu setzten sie sich in Widerspruch, wenn sie später den Beseitigungsanspruch dennoch geltend machen. Auf den vom Oberverwaltungsgericht auch erörterten Zeitablauf kam es daneben nicht entscheidend an.
Die Kläger halten den Ansatz des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls deshalb für unrichtig, weil die Entwässerungsleitung nach ihrer Funktion nur ein Provisorium gewesen sei, das mit dem Anschluss eines Neubaugebiets die Funktion einer endgültigen Lösung erhalten habe. Hieran anknüpfend meinen sie, verwirkt sein könne allenfalls ihr Anspruch auf Beseitigung des Provisoriums, weil sie nur bezogen hierauf nach Kenntnis von ihm untätig geblieben seien. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Entwässerungsleitung mit dem Anschluss des Neubaugebiets ihre Funktion wandelt und infolgedessen rechtlich nicht mehr dieselbe ist wie diejenige, deren Beseitigung die Kläger infolge Verwirkung nicht mehr verlangen können. Mit diesem Funktionswandel entsteht aus der Sicht der Kläger der Beseitigungsanspruch gleichsam erneut. Die Kläger gehen damit aber an den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts vorbei, dass die Entwässerungsleitung bereits mit ihrer Tieferlegung den Charakter einer endgültigen Lösung angenommen hat und sie ihrer Funktion nach auch geeignet ist, das Abwasser des geplanten Neubaugebiets aufzunehmen.
Von alledem abgesehen, ist die aufgeworfene Frage nicht klärungsfähig, weil der Senat in dem angestrebten Revisionsverfahren unterstellen könnte, dass der Anspruch auf ein Unterlassen der Durchleitung weiteren Abwassers als Minus zum Anspruch auf Beseitigung der Entwässerungsleitung anders als dieser nicht verwirkt ist. Ein Anspruch der Kläger müsste auch in diesem Fall daran scheitern, dass die Nutzung der Entwässerungsleitung über das bisherige Maß hinaus nicht nachteilig auf ihr Grundstück einwirkt.
Die Frage ist darüber hinaus auch deshalb in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie sich nach irrevisiblem Landesrecht beantwortet. Der Rechtsgedanke der Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben. Das Gebot, sich so zu verhalten, wie Treu und Glauben es verlangen, gehört zu den allgemeinen Grundsätzen sowohl des Verwaltungsrechts des Bundes als auch des Verwaltungsrechts der Länder. Welchem Rechtskreis dieser Grundsatz im Einzelfall zuzurechnen ist, hängt von der Qualität des Rechts ab, zu dessen Ergänzung er jeweils herangezogen wird: Bundesrecht wird durch bundesrechtliche allgemeine Grundsätze, Landesrecht wird durch landesrechtliche allgemeine Grundsätze ergänzt (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 8 B 194.97 - Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 88). Hier geht es um die Ergänzung eines Abwehranspruchs, der nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts aus einer entsprechenden Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB herzuleiten ist. Auch diese Bestimmung wird nicht unmittelbar als Bundesrecht angewandt. Sie wird wiederum nur ergänzend als allgemeiner Grundsatz herangezogen. Der auf eine entsprechende Anwendung des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB gestützte Unterlassungsanspruch gehört dem Bundesrecht an, wenn das staatliche Handeln, dessen Unterlassen beansprucht wird, dem Bundesrecht zugeordnet ist. Ist dieses staatliche Handeln hingegen landesrechtlich geordnet, gehört auch der auf sein Unterlassen gerichtete Anspruch dem Landesrecht an. Aus dem insoweit jeweils einschlägigen Recht ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen der Betroffene das staatliche Handeln hinzunehmen hat. Die allgemeinen Regeln über die Folgen fehlerhaften staatlichen Handelns gehören dem Recht an, das fehlerhaft angewandt worden ist. Hier richtet sich nach Landesrecht sowohl die Pflicht der Gemeinden, Grundstücke zu entwässern und die dafür erforderlichen Anlagen herzustellen und zu betreiben (§ 50a SWG), als auch die Pflicht von Grundstückseigentümern, die Durchleitung von Abwässern zu dulden (§ 93 SWG). Demnach gehört der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ebenso wie die Voraussetzungen seiner Verwirkung dem irrevisiblen Landesrecht an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und § 72 Nr. 1 GKG.