Beschluss vom 23.10.2017 -
BVerwG 1 B 143.17ECLI:DE:BVerwG:2017:231017B1B143.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.10.2017 - 1 B 143.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:231017B1B143.17.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 143.17

  • VG Trier - 09.09.2016 - AZ: VG 1 K 2441/16.TR
  • OVG Koblenz - 08.08.2017 - AZ: OVG 1 A 11634/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und
Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. August 2017 wird verworfen.
  3. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 A. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung - wie sich aus den nachstehenden Gründen ergibt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 Abs. 1 ZPO).

2 B. Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

3 1. Die Kläger haben eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht dargelegt.

4 1.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).

5 Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts festgehalten und für das Bundesverwaltungsgericht keine Befugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher Bedeutung in "Länderleitentscheidungen", wie sie etwa das britische Prozessrecht kennt, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 28 - zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die Berufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen.

6 Anderes folgt auch nicht aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14 - InfAuslR 2017, 75). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Beschluss nicht entschieden, dass in Fällen, in denen Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auf der Grundlage (weitestgehend) identischer Tatsachenfeststellungen zu einer im Ergebnis abweichenden rechtlichen Beurteilung kommen, stets und notwendig eine (klärungsbedürftige) Rechtsfrage des Bundesrechts vorliegt, welche eine Rechtsmittelzulassung gebietet, um den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr als Grund der bei als identisch angenommener Tatsachengrundlage im Ergebnis unterschiedlichen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen einerseits, des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg andererseits eine unterschiedliche Rechtsauffassung zur Rechtsfrage bezeichnet, ob der Asylbewerber tatsächlich politisch aktiv war oder ob es ausreicht, dass die Behörden des Heimatstaates von einer solchen Betätigung ausgingen. Für Tatsachenfragen - und damit auch für Unterschiede bei der tatsächlichen Bewertung identischer Tatsachengrundlagen - hat es vorab ausdrücklich bestätigt, dass wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht ausscheidet. Auch in Fällen (weitgehend) identischer Tatsachengrundlagen ist für die Revisionszulassung mithin eine Darlegung erforderlich, dass die im Ergebnis abweichende Bewertung der Tatsachengrundlage eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, und diese Frage hinreichend klar zu bezeichnen. Im Ergebnis unterschiedliche Bewertungen von Tatsachen bei (weitgehend) identischer Tatsachengrundlage weisen auch nicht auf rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung und Anwendung des § 108 VwGO hin; im Übrigen sind (mögliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juni 2004 - 1 B 249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 und vom 23. September 2011 - 1 B 19.11 - juris, jeweils m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat.

7 1.2 Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt. Aus den oben erläuterten Unterschieden zwischen Berufung und Revision ergibt sich, dass die Revision entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Klärung der mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage zur Bewertung der Verfolgungslage in Syrien zuzulassen ist. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zeigen die Kläger insbesondere nicht mit der als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage auf,
"ob die Einziehung zum Wehrdienst durch das Assad-Regime einer politischen Verfolgung gleichkommt".

8 Weder mit der so formulierten Frage noch mit dem Hinweis auf die in dieser Frage im Ergebnis divergierende Rechtsprechung verschiedener Obergerichte, deren "Argumentationsketten" sich die Kläger teils zu eigen machen, oder den Ausführungen zu dem individuellen Verfolgungsschicksal des Klägers zu 1 sowie zu der Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts bezeichnet die Beschwerde eine klärungsfähige Rechtsfrage (siehe auch BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 70.17 - juris).

9 2. Das Vorbringen, es läge ein Zulassungsgrund zur Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor,
"da der erkennende Senat die Fragen hätte nicht offen lassen dürfen, ob dem Beschwerdeführer zu 1 bei einer möglichen Rückkehr nach Syrien eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung und/oder eine zwangsweise Einberufung in die syrische Armee droht. Vergleiche dazu Seite 12 der Beschlussbegründung",
genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO. Es wird im Gewande der Verfahrensrüge die rechtliche Beurteilung der Verfolgungslage in Syrien angegriffen, ohne insoweit die Verletzung von Verfahrensrecht darzulegen. Im Übrigen hat das Berufungsgericht nicht die Möglichkeit einer Verfolgung insgesamt offengelassen, sondern lediglich - unter Hinweis auf vorangehende Rechtsprechung - ausgeführt, dass im Falle einer etwa drohenden Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung und/oder eine zwangsweise Einberufung in die syrische Armee jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestünden, dass diese Maßnahmen aus einem der in § 3 AsylG genannten Gründe, konkret: wegen einer als der Wehrdienstentziehung zu Grunde liegenden vermuteten politischen Opposition zum Regime, ergehen würden.

10 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.