Beschluss vom 04.06.2018 -
BVerwG 1 B 31.18ECLI:DE:BVerwG:2018:040618B1B31.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.06.2018 - 1 B 31.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:040618B1B31.18.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 31.18

  • VG Gießen - 16.03.2017 - AZ: VG 7 K 472/16.GI
  • VGH Kassel - 20.03.2018 - AZ: VGH 7 A 1041/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Juni 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. März 2018 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemacht wird, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

3 1.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlautes mithilfe der üblichen Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. August 2016 - 1 B 82.16 - juris Rn. 3).

4 1.2 Die von der Beschwerde für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
"ob bei einem Kläger, der im Bundesgebiet geboren ist, der zu keiner Zeit amtliche Dokumente - Personalausweis/Reisepass - eines Staates hatte und dessen Geschwister und Eltern auch nie über einen Pass dieses Staates verfügten, allein im Hinblick auf die Erklärung eines Konsulats die Stellung eines Staatsangehörigen dieses Staates erhalten kann,"
ist schon deswegen zu verneinen, weil für den Erwerb einer Staatsangehörigkeit grundsätzlich nicht allein die Erklärung eines Konsulats maßgeblich sein kann. Das Berufungsgericht hat die Erklärung des Konsulats der Republik Kosovo zur Staatsangehörigkeit des Klägers auch nicht als Erwerbsgrund angesehen, sondern lediglich als Bestätigung, dass der Kläger diese Staatsangehörigkeit erworben habe (und zwar nach dem Staatsangehörigkeitsrecht dieses von der Bundesrepublik Deutschland anerkannten Staates). Ob diese tatrichterliche Feststellung zutreffend ist, wirft keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf und entzieht sich auch einer rechtsgrundsätzlichen Klärung.

5 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Soweit die Beschwerde ausführt, die Feststellung des Berufungsgerichts, dem Kläger sei die Rückkehr in den Kosovo als Land seiner Herkunft zuzumuten, sei offensichtlich aktenwidrig, weil das Gericht eine Herkunft entgegen dem Akteninhalt konstruiert und das entgegenstehende Vorbringen des Klägers, er sei in der Bundesrepublik Deutschland geboren, aufgewachsen und habe keinerlei Bezug zu dem Kosovo, nicht zur Kenntnis genommen habe, legt sie den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend weder einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG (2.1) noch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (2.2) dar.

6 2.1 Der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht dargelegt.

7 a) Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 -1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

8 b) Das Berufungsgericht hat ausweislich des Tatbestandes zur Kenntnis genommen, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist, und dies auch in den Entscheidungsgründen erwogen (BA S. 19); u.a. hat es dort ausgeführt, dass es für den Kläger nicht einfach sein werde, sich im Kosovo eine Existenz aufzubauen, nachdem er sein ganzes Leben zuvor in Deutschland verbracht habe. Der Sache nach tritt die Beschwerde der Wertung des Berufungsgerichts entgegen, eine Ausweisung und Abschiebung in den Kosovo sei nach den Umständen des Einzelfalls gleichwohl verhältnismäßig, und macht insoweit eine (vermeintlich) fehlerhafte Anwendung sachlichen Rechts geltend.

9 2.2 Auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist nicht dargetan.

10 a) Die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind in aller Regel revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272>). Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ("Überzeugungsgrundsatz") im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO betrifft die Feststellung aller für die Entscheidung des Gerichts erheblichen Tatsachen und deren "freie Würdigung". Umfasst sind insbesondere die ausreichende Erforschung und Würdigung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen wie etwa des Akteninhalts, des Vortrags der Beteiligten, eingeholter Auskünfte oder gerichtskundiger Tatsachen (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 21). Die Einhaltung der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden verfahrensmäßigen Verpflichtung ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als das angefochtene Urteil. Denn damit wird ein - angeblicher - Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Hundesteuer Nr. 7 S. 11 f.). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann zwar ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Beschluss vom 10. Februar 2015 - 5 B 60.14 - juris Rn. 9 m.w.N.). Derartige Fehler werden hier von der Beschwerde indes nicht substantiiert aufgezeigt.

11 b) In Bezug auf die Bewertung des Berufungsgerichts, der Kläger besitze die Staatsangehörigkeit des Kosovo, fehlt es bereits an einer Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Erwerbs der Staatsangehörigkeit des Kosovo; konkrete Anhaltspunkte für eine "Gefälligkeitsbescheinigung" des Konsulats der Republik Kosovo ergeben sich aus dem Vorbringen zu den Verhältnissen in der Republik Kosovo und der Nichtanerkennung durch einige Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht. Hinsichtlich der Bewertung der Zumutbarkeit einer Rückkehr in das "Land seiner Staatsangehörigkeit bzw. seiner Herkunft" beschränkt sich das Beschwerdevorbringen darauf, der Bewertung des Berufungsgerichts seine eigene Bewertung entgegenzusetzen.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren gründet auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.