Verfahrensinformation

Zwei Brüder jüdischen Glaubens hatten vor 1933 Anteile an einer Aktiengesellschaft, die sie in der NS-Zeit verloren. Die Höhe der Anteile war zunächst unbekannt. Die zuständige Behörde stellte daraufhin aufgrund einer Schätzung fest, dass den Erben der Brüder jeweils ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz für je 19 % des Aktenkapitals der AG zustehe. Als nachträglich Unterlagen aufgetaucht waren, die Anteile der Brüder in Höhe von je 5,215 % des Kapitals der AG belegten, nahm die Behörde die Feststellung hinsichtlich des darüber hinausgehenden Prozentsatzes zurück. Die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Im Revisionsverfahren ist zu klären, ob aufgrund einer Schätzung die Entschädigungsberechtigung festgestellt werden durfte und unter welchen Voraussetzungen eine auf einer Schätzung beruhende Feststellung zurückgenommen werden kann.


Urteil vom 31.08.2006 -
BVerwG 7 C 16.05ECLI:DE:BVerwG:2006:310806U7C16.05.0

Leitsatz:

Aufgrund einer Schätzung kann keine Berechtigung nach dem Vermögensgesetz festgestellt werden.

  • Rechtsquellen
    Vermögensgesetz § 1 Abs. 6 und § 31 Abs. 1 Satz 2 bis 4
    NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz
    VwVfG § 48

  • VG Berlin - 02.09.2005 - AZ: VG 31 A 185.03

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 31.08.2006 - 7 C 16.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:310806U7C16.05.0]

Urteil

BVerwG 7 C 16.05

  • VG Berlin - 02.09.2005 - AZ: VG 31 A 185.03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 31. August 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert, Krauß, Neumann
und Guttenberger
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger zu 1 und 2 und die Kläger zu 3 bis 5 tragen jeweils als Gesamtschuldner die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte.

Gründe

I

1 Die Kläger begehren die Aufhebung eines Verwaltungsakts, mit dem das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin einen von ihm erlassenen Bescheid teilweise zurückgenommen hat. In dem Ausgangsbescheid war festgestellt worden, dass den Erben nach Siegfried H. und der Erbin nach Bernhard H. jeweils ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz für je 19 % des Aktienkapitals der Deutschen Kabelwerke AG (im Folgenden AG) zusteht.

2 Die Brüder Siegfried und Bernhard H. waren Juden und besaßen Anteile an der AG. Nach dem 30. Januar 1933 verloren sie diese Anteile. Die Kläger zu 3 bis 5 sind Erben bzw. Erbeserben nach Siegfried H., Erbin nach Bernhard H. war Frau Z.

3 Die Kläger zu 3 bis 5 und Frau Z. beantragten zunächst die Rückübertragung des Unternehmens der AG. Die Kläger zu 3 bis 5 wählten später Entschädigung. Aufgrund seiner Ermittlungen ging das Landesamt davon aus, dass die Brüder H. Aktien an der AG besessen hatten, konnte jedoch nicht genau klären, wie hoch der Aktienanteil gewesen war.

4 Durch Bescheid vom 18. März 1999 lehnte das Landesamt den Antrag der Frau Z. auf Rückübertragung des Unternehmens ab und stellte fest, dass dieser und der Erbengemeinschaft nach Siegfried H. für den Verlust von Aktienanteilen in Höhe von jeweils 19 v.H. des Aktienkapitals der AG Ansprüche auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz dem Grunde nach zustünden. Zur Begründung führte das Landesamt unter anderem aus: Aufgrund der vorliegenden Unterlagen seien die Aktienanteile der Brüder auf je 19 % geschätzt worden. Im Wege der Beweiswürdigung werde angenommen, dass es zu einem Zwangsverkauf von Aktien an die Dresdner Bank gekommen sei. Die vorliegenden Beweismittel träfen aber keine Aussage über die Höhe der entzogenen Aktienanteile.

5 Im April 2001 wandte sich die mit der Festsetzung der Entschädigung befasste Oberfinanzdirektion an das Landesamt und regte unter Berufung auf nachträglich aufgefundene Urkunden eine Überprüfung des Bescheids vom März 1999 an. Unter anderem wurde ein von der Dresdner Bank vorgelegter Vergleich aus dem Jahre 1969 zwischen der Bank und den Erben der Brüder H. übersandt. Darin heißt es, die Bank habe 10,43 % des Kapitals der AG von den Brüdern übernommen. Im Juli 2002 hörte das Landesamt vorsorglich die Kläger zu der Absicht, den Bescheid zu ändern.

6 Mit Bescheid vom 12. Februar 2003 wurde der Ausgangsbescheid dahin geändert, dass den Mitgliedern der Erbengemeinschaft nach Siegfried H. einerseits und Frau Z. andererseits für den Verlust von Aktienanteilen in Höhe von je 5,215 % des Aktienkapitals der AG je ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz dem Grunde nach zusteht. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt: Der Ausgangsbescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil er auf einer unzulässigen Schätzung beruhe. Könne der Anteil am Grundkapital nicht nachgewiesen werden, sei der Anspruch abzulehnen, da die Beweislast beim Antragsteller liege. In dem nachträglich bekannt gewordenen Vergleich mit der Bank sei nur von der Übertragung von Aktien in Höhe von 10,43 % des Stammkapitals im Jahr 1935 ausgegangen worden. Anhaltspunkte für einen weiteren Aktienbesitz der Brüder vor 1933 seien nicht ersichtlich. § 48 VwVfG stehe der teilweisen Rücknahme nicht entgegen. Die Entscheidung über die Rücknahme sei eine Ermessensentscheidung. Die Abwägung der beteiligten Interessen ergebe, dass hier das öffentliche Interesse höher zu bewerten sei als das private Interesse der Begünstigten.

7 Gegen diesen Bescheid haben sowohl Frau Z. als auch die Kläger zu 3 bis 5 Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat beide Verfahren verbunden. Während des Verfahrens verstarb Frau Z. und wurde von den Klägern zu 1 und 2 beerbt.

8 Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. September 2005 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der auf § 48 VwVfG gestützte Bescheid sei rechtmäßig.

9 Der Ausgangsbescheid sei sowohl nach dem Kenntnisstand des Jahres 1999 wie auch nach dem jetzigen rechtswidrig. Der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 6 VermG setze die Feststellung eines konkreten Vermögensverlusts voraus. Nur die Verfolgungsbedingtheit des Vermögensverlusts Verfolgter, nicht aber der Vermögensverlust selbst werde nach § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 REAO vermutet. Bei Erlass des Ausgangsbescheids seien der Behörde aber keine Tatsachen bekannt gewesen, die die Feststellung ermöglicht hätten, welche Aktien (konkrete Vermögensgegenstände) die Brüder auf welche Weise verloren hätten. Über diese Sachverhaltslücke habe § 31 Abs. 1 Satz 2 VermG nicht hinweggeholfen. Denn die Behörde habe nicht über die Höhe, sondern über den Grund des Anspruchs entscheiden müssen. § 31 VermG decke nur die Schätzung der Höhe eines Anspruchs. Die Schranken für die Rücknahme eines unanfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakts seien beachtet. Der Änderungsbescheid sei auch ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO).

10 Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Revision der Kläger. Zur Begründung führen sie insbesondere aus: Der Ausgangsbescheid sei rechtmäßig gewesen, da er auf einer zulässigen Schätzung beruht habe. Eine solche könne auch ohne besondere gesetzliche Normierung aufgrund der Schwierigkeiten von NS-Verfolgten, Anspruchsvoraussetzungen zu beweisen, vorgenommen werden. Auch aus § 31 Abs. 1 Satz 2 VermG ergebe sich die Zulässigkeit der Schätzung. Selbst wenn man die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids unterstelle, sei dessen Änderung rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für die Rücknahme eines Verwaltungsakts (§ 48 VwVfG) nicht vorlägen bzw. die Rücknahmeentscheidung zumindest ermessensfehlerhaft sei.

11 Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II

12 Die Revision ist unbegründet.

13 Ohne Bundesrecht zu verletzen (§ 137 Abs. 1 VwGO) hat das Verwaltungsgericht die Klagen abgewiesen; denn der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Mit diesem Bescheid wurde der Bescheid vom März 1999 teilweise zurückgenommen. Soweit der Ausgangsbescheid zurückgenommen wurde, war er rechtswidrig (vgl. 1.). Die Rücknahmeentscheidung ist auch im Übrigen rechtmäßig (vgl. 2.).

14 1. Mit dem Bescheid vom März 1999 hatte das Landesamt festgestellt, dass der Erbengemeinschaft nach Siegfried H. für den Verlust von dessen Aktienanteilen in Höhe von 19 % des Aktienkapitals der AG ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz dem Grunde nach zusteht. Für die Erbin nach Bernhard H. enthielt der Bescheid eine gleich lautende Feststellung.

15 Bei diesen Entscheidungen handelte es sich um Berechtigtenfeststellungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Mit einer solchen Entscheidung wird festgestellt, dass bestimmte Vermögenswerte von schädigenden Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind. Geht es dabei um Beteiligungen an Unternehmen, ist Vermögenswert jeder einzelne Anteil - beispielsweise jede Aktie - des Unternehmens. Die Berechtigtenfeststellung ist ein Verwaltungsakt, der einerseits selbstständig angreifbar, andererseits selbstständig der Bestandskraft fähig ist. Rechtsfolge der Berechtigtenfeststellung ist insbesondere, dass die in der Feststellung genannten Vermögenswerte an die Berechtigten zurückzuübertragen sind (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG) oder dass die Berechtigten entschädigt werden. War eine Beteiligung an einem Unternehmen Gegenstand einer Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG, kann aufgrund der Berechtigtenfeststellung gegebenenfalls die Einräumung von Bruchteilseigentum in Höhe der entzogenen Beteiligung an Vermögensgegenständen, die nicht mehr zum Vermögen des Unternehmens gehören und heute im Eigentum von Privatpersonen stehen, verlangt werden (§ 3 Abs. 1 Satz 4 VermG). Vom Umfang der Berechtigtenfeststellung kann es auch abhängen, ob das Quorum für die Rückgabe von Unternehmen (§ 6 Abs. 1a Satz 2 VermG) zustande kommt. So ist hier der Antrag auf Rückübertragung des Unternehmens mit der Begründung abgelehnt worden, aufgrund der Schätzung des Umfangs der Beteiligung sei das Quorum nicht erfüllt.

16 Der Ausgangsbescheid war, soweit er durch den angefochtenen Bescheid aufgehoben wird, rechtswidrig. Bei Prüfung dieser Frage sind selbstverständlich auch die vor Erlass des Ausgangsbescheids liegenden Tatsachen, die der Behörde erst nach Bescheiderlass bekannt wurden, zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für den 1969 abgeschlossenen Vergleich. Aus diesem ergibt sich - nach den von den Beteiligten nicht angezweifelten tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts -, dass die Brüder H. jedenfalls Aktien in Höhe von jeweils 5,215 % an die Dresdner Bank verloren hatten.

17 Angesichts dessen hätte eine darüber hinausgehende Berechtigtenfeststellung nur getroffen werden dürfen, wenn ein höherer Aktienbesitz der Brüder und dessen Verlust festgestanden hätten. Denn die Unerweislichkeit von Tatsachen, aus denen eine Partei ihr günstige Rechtsfolgen herleitet, geht grundsätzlich zu ihren Lasten. Dies gilt auch bei der Anwendung des § 1 VermG (vgl. u.a. Urteil vom 24. März 1994 - BVerwG 7 C 11.93 - BVerwGE 95, 289 <294> = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 20 m.w.N.). Etwas anderes gilt zwar, soweit die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 REAO gilt. Diese Vorschrift begründet aber nur die Vermutung, dass bestimmte Vermögensverluste verfolgungsbedingt waren. Für den Nachweis des Eigentums an Vermögensgegenständen, die auf diese Weise verloren gegangen sein könnten, gelten dagegen die allgemeinen Beweisregeln (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 29. Juli 2005 - BVerwG 7 B 21.05 - juris). Für dieses Ergebnis spricht auch - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist -, dass die Vermutung des Art. 3 REAO auf konkrete Verlustakte bezogen ist; denn sie gilt für die Veräußerung von Vermögensgegenständen. Die Widerlegungsregelungen des Art. 3 Abs. 2 und 3 REAO können daher nur geprüft werden, wenn zuvor ein Verlustgeschäft festgestellt worden ist.

18 Das Verwaltungsgericht hat aber nicht festgestellt, dass die Brüder Aktienanteile in Höhe von mehr als je 5,215 % besessen hatten. Verfahrensrügen werden von den Revisionen nicht erhoben.

19 Hat jemand möglicherweise Vermögenswerte besessen, die von einer schädigenden Maßnahme gemäß § 1 VermG betroffen sind, kann seine Berechtigung nur festgestellt werden, wenn dies bewiesen werden kann. Es ist nicht möglich, im Wege der Schätzung seine Berechtigung hinsichtlich eines Teils der möglicherweise von einer schädigenden Maßnahme betroffenen Vermögenswerte festzustellen:

20 Eine solche Möglichkeit der Schätzung ergibt sich - entgegen der Auffassung der Revisionen - nicht aus allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen bzw. verwaltungsprozessrechtlichen Grundsätzen. Nach diesen Grundsätzen kann den Beweisschwierigkeiten NS-Verfolgter nur auf andere Weise - beispielsweise mit Hilfe eines Indizienbeweises oder durch Beweiserleichterungen - Rechnung getragen werden. Darum geht es hier jedoch nicht. Die Zulässigkeit einer Schätzung bei anspruchsbegründenden Tatsachen setzt eine gesetzliche Regelung voraus, an der es hier fehlt.

21 Eine Schätzung ist insbesondere nicht aufgrund von § 31 Abs. 1 Satz 2 bis 4 VermG zulässig. Danach kann bei einem auf Geldleistung gerichteten Anspruch nach dem Vermögensgesetz dessen Höhe geschätzt werden, soweit die Behörde die für die Höhe des Anspruchs erheblichen Tatsachen nicht (oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand) ermitteln kann. Die Vorschrift gilt nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur bei Ansprüchen, die auf eine Geldleistung gerichtet sind, und auch bei diesen nur hinsichtlich der Höhe und nicht hinsichtlich des Grundes des Anspruchs. Auch gilt sie nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur, wenn die für die Höhe des Anspruchs erheblichen Tatsachen nicht ermittelt werden können. Dagegen ist sie nach ihrem Wortlaut nicht auf die für den Grund des Anspruchs erheblichen Tatsachen anwendbar. Mit der Berechtigtenfeststellung wird dagegen festgestellt, dass ein Anspruch nach dem Vermögensgesetz dem Grunde nach besteht. Auch ist - wie dargelegt - diese Feststellung nicht auf Geldleistungsansprüche beschränkt. Die Berechtigtenfeststellung kann überdies einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum eines Dritten zur Folge haben. Es kann aber - wie die Beklagte zu Recht ausführt - nicht sein, dass ein Eigentümer sein Eigentum an einem Vermögenswert verliert, weil geschätzt wurde, dass dieser Vermögenswert von einer schädigenden Maßnahme betroffen ist. Ebenso wenig kann es sein, dass ein Eigentümer an einem Vermögenswert Bruchteilseigentum gemäß § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG in bestimmter Höhe einräumen muss, weil geschätzt wurde, dass Unternehmensanteile in entsprechender Höhe von einer schädigenden Maßnahme betroffen sind.

22 2. Der angefochtene Bescheid ist auch im Übrigen rechtmäßig. Die für die
Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte geltenden Bestimmungen (§ 48 VwVfG) sind beachtet.

23 In der Regel richtet sich die Rücknahme einer Berechtigtenfeststellung nach § 48 Abs. 3 VwVfG. Da die Feststellung hier jedoch allein Voraussetzung für eine einmalige Geldleistung, nämlich eine Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz, war, bestimmt sich die Zulässigkeit der Rücknahme nach § 48 Abs. 2 VwVfG. Diese Vorschrift steht der Rücknahme nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vertrauen der Kläger auf den Bestand des Ausgangsbescheids unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme nicht schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwVfG):

24 Eine Schutzwürdigkeit ergibt sich nicht aus der Regel des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG. Dies gilt auch für den Kläger zu 1. Eine bereits 1995 von ihm aufgenommene Bankbürgschaft ist keine geschützte Vermögensdisposition im Sinne dieser Vorschrift, da sie vor Erlass des Ausgangsbescheids aufgenommen wurde. Auch eine wertende Abwägung der Gesichtspunkte, die für eine Aufrechterhaltung des begünstigenden Hoheitsaktes sprechen, gegen das öffentliche Interesse an der Herstellung des an sich nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften gebotenen Rechtszustands führt hier nicht dazu, dass das Vertrauen der Kläger schutzwürdig ist.

25 In dem angefochtenen Bescheid wird eine Abwägung vorgenommen und u.a. ausgeführt, das öffentliche Interesse an der Gleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte durch rechtmäßige Entscheidungen sowie an dem sorgsamen Umgang mit finanziellen Mitteln des Entschädigungsfonds durch Vermeidung ungesetzlicher Leistungen aus demselben sei hoch anzusetzen. Das Verwaltungsgericht führt zu Letzterem aus, das öffentliche Interesse sei auch in Anbetracht der Höhe der in einem anderen Verfahren geltend gemachten Teilforderung der Kläger zu 1 und 2 (über 2,7 Mio. €) von überwiegendem Gewicht. Zu Recht wird insoweit nicht nur das Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, sondern auch das fiskalische Interesse des Staates als öffentliches Interesse im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG bewertet (vgl. Beschluss vom 25. Juni 1986 - BVerwG 1 WB 166/84 - BVerwGE 83, 195 <199>).

26 Ein besonderes, das öffentliche Interesse an der Rücknahme überwiegendes Vertrauen der Kläger ergibt sich auch nicht aus der Entstehung des Ausgangsbescheids. Dass Behörde und Antragsteller vor Erlass eines Bescheids Einvernehmen über dessen Inhalt erzielt haben, hindert nicht, diesen zurückzunehmen. Kommen Antragsteller ihrer Mitwirkungspflicht umfassend nach, führt dies nur dazu, dass ihnen Vertrauensschutz nicht wegen unvollständiger Angaben versagt werden darf (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG). Auch die seit Erlass des Ausgangsbescheids verstrichene Zeit begründet hier kein besonderes Vertrauen.

27 Die teilweise Rücknahme des Ausgangsbescheids stand damit im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (§ 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Das Verwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der Änderungsbescheid ermessensfehlerfrei (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) ist. Die Behörde sei sich bewusst gewesen, dass sie eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt hätte und habe ihr Ermessen ausgeübt. Ihre Erwägungen seien nicht zu beanstanden. Dies verletzt Bundesrecht nicht.

28 Die Rücknahme erfolgte im Februar 2003 und damit innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen (§ 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beginnt diese Frist erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 1984 - Gr.Sen. 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33). Eine solche vollständige Tatsachenkenntnis hatte die Behörde frühestens mit Eingang der Stellungnahmen der Kläger zu den im Juli 2002 vorsorglich versandten Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Rücknahme (vgl. Urteil vom 20. September 2001 - BVerwG 7 C 6.01 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 103, S. 21 <23>).

29 Schließlich ergibt sich aus dem vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht, dass das Landesamt die Befugnis zur Rücknahme verwirkt haben könnte.

30 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.