Verfahrensinformation

Die Kläger (eine Mutter und ihre zwei Kinder) sind armenische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Bei ihrem Asylantrag im Jahre 1998 gab die Klägerin zu 1. an, türkische Staatsangehörige aus der Provinz Mardin zu sein und der syrisch-orthodoxen Glaubensgemeinschaft anzugehören; sie sei u.a. von türkischen Sicherheitskräften wegen der Weigerung ihres Ehemanns, sich als sog. Dorfschützer zur Verfügung zu stellen, vergewaltigt worden. Das Verwaltungsgericht verpflichtete auf der Grundlage dieses Vorbringens das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) mit Urteil vom August 1999, den Klägern Flüchtlingsschutz zu gewähren. Im Jahre 2009 unterrichtete die Ausländerbehörde das Bundesamt von der tatsächlichen Staatsangehörigkeit der Kläger. Im Rahmen des vom Bundesamt eingeleiteten Widerrufsverfahrens räumte die Klägerin zu 1. die Täuschung über ihre Identität und ihr Verfolgungsschicksal im früheren Asylverfahren ein.


Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Aufhebungsbescheid des Bundesamts vom Oktober 2010 abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat ihr wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des schutzgewährenden Urteils aus dem Jahre 1999, die auch wegen der Täuschung über Identität und Verfolgungsschicksal behördlich nicht durchbrochen werden könne, stattgegeben. Das Bundesamt hat demgegenüber geltend gemacht, auch bei einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil sei ausnahmsweise die Rücknahme der Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung dann möglich, wenn dieses Urteil von den Begünstigten auf unlautere bzw. sittenwidrige Weise erwirkt worden sei. Der Senat hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils im Flüchtlingsrecht unter Berufung auf § 826 BGB durchbrochen werden kann.


Pressemitteilung Nr. 79/2013 vom 19.11.2013

Bei grober Täuschung hindert Rechtskraft nicht die Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung

Auch eine auf einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung beruhende Flüchtlingsanerkennung kann vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - zurückgenommen werden, wenn das Gericht über zentrale Elemente des Flüchtlingsschicksals getäuscht worden ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Kläger, eine Mutter und ihre beiden Söhne, stellten 1998 unter falschen Namen Asylanträge. Dabei behaupteten sie wahrheitswidrig, sie seien syrisch-orthodoxe Christen aus der Türkei und dort verfolgt worden. Das Bundesamt lehnte die Asylanträge ab, wurde aber durch rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts verpflichtet, die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen. Zehn Jahre später stellte sich heraus, dass die Kläger armenische Staatsangehörige sind, nie in der Türkei gelebt haben und auch in Armenien nicht verfolgt worden sind. Daraufhin hob das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennungen auf. Das Verwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Das Oberverwaltungsgericht hat den Klagen hingegen stattgegeben. Eine Rücknahme der Flüchtlingsanerkennungen sei nicht möglich, da sie auf einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil beruhten. Ein solches Urteil könne allein in einem - nur unter engen Voraussetzungen möglichen - förmlichen Wiederaufnahmeverfahren beseitigt werden.


Auf die Revision der Beklagten hat der 10. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts das Berufungsurteil geändert und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Die Flüchtlingsanerkennungen durften nach § 73 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes zurückgenommen werden, weil sie auf Grund unrichtiger Angaben ausgesprochen worden waren; dieser Beendigungstatbestand ist auch im Flüchtlingsrecht der Europäischen Union vorgesehen. Die Rechtskraft des zur Flüchtlingsanerkennung führenden Gerichtsurteils steht hier nicht entgegen, weil ein Fall des Urteilsmissbrauchs vorliegt. Der Gedanke der unzulässigen Rechtsausübung, der im Gesetz u.a. in § 826 BGB Ausdruck gefunden hat, ist als Verbot des Urteilsmissbrauchs auch im Verwaltungsprozessrecht anerkannt. Die Durchbrechung der Rechtskraft eines Urteils ist danach ausnahmsweise möglich, wenn das Urteil sachlich unrichtig ist, der Betroffene die Unrichtigkeit kennt und besondere Umstände die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände sind im Flüchtlingsrecht jedenfalls dann gegeben, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht. Eine solche Täuschung über zentrale, die Anerkennung tragende Punkte hat der Senat im vorliegenden Fall auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen bejaht und die Rücknahme der Flüchtlingsanerkennungen bestätigt.


BVerwG 10 C 27.12 - Urteil vom 19. November 2013

Vorinstanzen:

OVG Münster, 11 A 619/11.A - Urteil vom 09. Februar 2012 -

VG Münster, 2 K 2485/10.A - Urteil vom 17. Februar 2011 -


Beschluss vom 10.10.2012 -
BVerwG 10 B 11.12ECLI:DE:BVerwG:2012:101012B10B11.12.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.10.2012 - 10 B 11.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:101012B10B11.12.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 11.12

  • VG Münster - 17.02.2011 - AZ: VG 2 K 2485/10.A
  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 09.02.2012 - AZ: OVG 11 A 619/11.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Oktober 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und Dr. Maidowski
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 9. Februar 2012 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

2 Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Sie kann dem Bundesverwaltungsgericht Gelegenheit geben zu klären, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils im Flüchtlingsrecht unter Berufung auf § 826 BGB durchbrochen werden kann.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 10 C 27.12 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.

Urteil vom 19.11.2013 -
BVerwG 10 C 27.12ECLI:DE:BVerwG:2013:191113U10C27.12.0

Leitsätze:

1. Die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils steht der Rücknahme der Anerkennung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn das Urteil sachlich unrichtig ist, die von dem Urteil Gebrauch machenden Personen dies wissen und besondere Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen (Rechtsgedanke des § 826 BGB).

2. Ein sittenwidriger Missbrauch der auf einem Urteil beruhenden Flüchtlingsanerkennung liegt jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht.

3. Die einjährige Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG findet auf die Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG keine Anwendung (im Anschluss an Urteil vom 5. Juni 2012 - BVerwG 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 für den Widerruf).

  • Rechtsquellen
    AsylVfG § 73 Abs. 1, 2 und 2a
    VwGO §§ 121, 153
    ZPO § 580
    RL 2011/95/EU Art. 14 Abs. 1 und 3
    BGB § 826

  • VG Münster - 17.02.2011 - AZ: VG 2 K 2485/10.A
    OVG Münster - 09.02.2012 - AZ: OVG 11 A 619/11.A

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 19.11.2013 - 10 C 27.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:191113U10C27.12.0]

Urteil

BVerwG 10 C 27.12

  • VG Münster - 17.02.2011 - AZ: VG 2 K 2485/10.A
  • OVG Münster - 09.02.2012 - AZ: OVG 11 A 619/11.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und Prof. Dr. Kraft, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 2012 geändert. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 17. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu je einem Drittel.

Gründe

I

1 Die 1969, 1995 und 1996 geborenen Kläger reisten 1998 nach Deutschland ein und stellten Asylanträge. Zur Begründung gaben sie an, sie seien türkische Kurden syrisch-orthodoxer Religionszugehörigkeit. Die Beklagte lehnte die Anträge ab. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren trug die Klägerin zu 1 weiter vor, sie sei in der Türkei vergewaltigt worden, weil sich ihr Ehemann geweigert habe, Dorfschützer zu werden. Das Verwaltungsgericht ließ die Frage einer Gruppenverfolgung syrisch-orthodoxer Christen in der Türkei offen und verpflichtete die Beklagte durch Urteil vom 9. August 1999 im Hinblick auf das individuelle Verfolgungsschicksal der Kläger zur Feststellung der Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG. Die Beklagte sprach diese Feststellungen durch Bescheid vom 7. Oktober 1999 aus.

2 Nachdem sich im Juli 2009 herausgestellt hatte, dass die Kläger keine türkischen, sondern armenische Staatsangehörige sind, nie in der Türkei gelebt haben und weder dort noch in Armenien verfolgt worden sind, hob das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die im Bescheid vom 7. Oktober 1999 getroffenen Feststellungen durch Bescheid vom 2. November 2010 auf und stellte fest, dass weder eine Flüchtlingsanerkennung aus anderen Gründen noch Abschiebungshindernisse hinsichtlich Armeniens in Betracht kämen. Die Begründung des Bescheids bezog sich sowohl auf den im Tenor erklärten Widerruf als auch auf die Rücknahme jenes Bescheids.

3 Das Verwaltungsgericht wies die Klage gegen den Bescheid vom 2. November 2010 und auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Armeniens ab. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Entscheidung durch Urteil vom 9. Februar 2012 geändert und den Bescheid aufgehoben: Ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung komme nicht in Betracht, weil sich die Sach- und Rechtslage nachträglich nicht geändert habe. Einer Rücknahme stehe die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils entgegen; diese könne nur im Verfahren nach § 153 VwGO beseitigt werden. Ein Restitutionsverfahren sei jedoch wegen Zeitablaufs nicht mehr möglich.

4 Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung sei möglich, weil sich die Situation der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei inzwischen durchgreifend verbessert habe. Auch eine Rücknahme der Entscheidung von 1999 sei möglich. Die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 9. August 1999 stehe nicht entgegen, da ein Fall des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs vorliege. In die Ermessensentscheidung über die Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung seien auch alle relevanten Umstände des Einzelfalles einbezogen worden.

5 Die Kläger verteidigen das Berufungsurteil. Der Vertreter des Bundesinteresses hält einen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ebenfalls für zulässig und schließt sich im Übrigen der Argumentation der Beklagten an.

II

6 Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen die Aufhebung der Flüchtlingsanerkennung und der Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich der Türkei sowie die Klage auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Armeniens zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 7. Oktober 1999 durfte zwar nicht widerrufen (dazu 3.), wohl aber mit Wirkung ex nunc zurückgenommen werden. Die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 9. August 1999 steht der Rücknahme nicht entgegen, weil ein Fall des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs vorliegt. Demgegenüber hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen revisibles Recht angenommen, dass die Rechtskraft einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausschließlich im Wege der Restitutionsklage (§ 153 VwGO, § 580 ZPO) überwunden werden könne (dazu 4.).

7 1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 2. November 2010 zur Aufhebung des Bescheids vom 7. Oktober 1999 über die Flüchtlingsanerkennung und die Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich der Türkei (Ziffer 1 des Bescheids). Auch der Hilfsantrag der Kläger auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich Armeniens nach nationalem Recht (Ziffer 3 des Bescheids) ist in der Revisionsinstanz angefallen. Weitergehende Begehren sind jedenfalls nicht mehr in der Revisionsinstanz anhängig geworden.

8 2. Die Revision ist allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon deshalb begründet, weil die Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis hätten. Zwar sind die Verfahrensbeteiligten bzw. Adressaten sowohl im verwaltungsgerichtlichen Urteil vom 9. August 1999 als auch im Bescheid vom 7. Oktober 1999 mit den damals von den Klägern geführten Aliasnamen bezeichnet. Diese fehlerhafte Bezeichnung, die einer jederzeitigen Berichtigung von Amts wegen zugänglich wäre (§ 118 VwGO, § 42 VwVfG), lässt die Flüchtlingsanerkennung nicht ins Leere laufen. Denn sie ändert nichts daran, dass sich die personale Rechtskraft des Urteils und die Rechtswirkung des nachfolgenden Verwaltungsakts auf die Kläger als reale Personen beziehen, so dass diese ein rechtliches Interesse daran haben, den Wegfall der durch das Urteil bzw. den Verwaltungsakt ausgesprochenen Begünstigung gerichtlich überprüfen zu lassen.

9 3. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Bescheid vom 7. Oktober 1999 über die Feststellung der Voraussetzungen der §§ 51 und 53 Abs. 1 und 4 AuslG durch Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 2. November 2010 nicht widerrufen werden durfte.

10 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011, BGBl I S. 2258); die zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Änderungen des Asylverfahrensgesetzes durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl I S. 3474), die im Übrigen die hier maßgeblichen Vorschriften im entscheidungserheblichen Gehalt unverändert gelassen haben, sind noch nicht anzuwenden.

11 Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG muss die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 der Vorschrift insbesondere der Fall, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz seines Heimatstaates in Anspruch zu nehmen. Ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, das zu der Flüchtlingsanerkennung geführt hat, steht dem Widerruf nicht entgegen, wenn nach dem für das Urteil relevanten Zeitpunkt neue erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtmäßig oder rechtswidrig war, weil Anknüpfungspunkt für den Widerruf eine Veränderung der tatsächlichen Situation, nicht aber die rechtliche Bewertung der ursprünglichen Zuerkennung des Flüchtlingsstatus ist (Urteile vom 22. November 2011 - BVerwG 10 C 29.10 - BVerwGE 141, 161 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 42 jeweils Rn. 16 und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 8). Ob eine relevante Veränderung in dem vorerwähnten Sinn stattgefunden hat, bestimmt sich nach den in dem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil zu Grunde gelegten Tatsachen, denen die Lage im Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf entgegenzustellen ist. Maßgeblich sind dabei die konkreten Umstände des Einzelfalls. Ob die tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts zutreffend waren, spielt für diese erste Stufe der Widerrufsprüfung keine Rolle (Urteil vom 22. November 2011 a.a.O. Rn. 18 f.). Haben sich die bei der Anerkennung - gegebenenfalls auch fehlerhaft - zu Grunde gelegten Verhältnisse in diesem Sinne grundlegend und dauerhaft geändert, ist in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob nicht anderweitige Gründe für eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen. Hierfür ist dann auf die Sach- und Erkenntnislage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf abzustellen. Aus Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates (Qualifikationsrichtlinie, ebenso Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011) ergibt sich hierzu nichts Abweichendes.

12 Nach diesen Grundsätzen ist bei dem Vergleich zwischen der vom Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. August 1999 angenommenen Sachlage und der Situation im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf davon auszugehen, dass den Klägern die Flüchtlingseigenschaft als türkischen Staatsangehörigen und im Hinblick auf ein von der Klägerin zu 1 behauptetes individuelles Vorverfolgungsschicksal zuerkannt worden ist. Eine im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerruf vorliegende wesentliche Veränderung der auf diese Umstände bezogenen Gefährdungslage hat weder die Beklagte noch das Berufungsgericht festgestellt, so dass auf der Grundlage des bislang festgestellten Sachverhalts ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht in Betracht kommt. Einer Zurückverweisung der Sache zur weiteren Tatsachenaufklärung bedarf es im vorliegenden Fall dennoch nicht, weil die Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 rechtlichen Bedenken nicht begegnet, so dass es auf die Zulässigkeit eines Widerrufs nicht mehr ankommt (dazu 4.). Abweichend von der Annahme der Beklagten und des Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht kommt es hingegen nicht auf die Frage an, ob sich die Lage der syrisch-orthodoxen Christen in der Türkei seit 1999 geändert hat. Denn dieser Gesichtspunkt hat für das rechtskräftige Verpflichtungsurteil vom 9. August 1999 keine entscheidungstragende Rolle gespielt.

13 4. Der Bescheid vom 2. November 2010 umfasst indes auch eine ex nunc-Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 (4.1), die sich auf § 73 Abs. 2 AsylVfG stützen kann (4.2) und der angesichts der Besonderheiten des Einzelfalles die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht entgegensteht (4.3); die Beklagte hat auch ein ihr etwa eingeräumtes Ermessen fehlerfrei betätigt (4.4). Offenbleiben kann daher, ob eine Rücknahme hier unionsrechtlich nicht nur möglich, sondern geboten gewesen wäre (4.5).

14 4.1 Der Bescheid vom 2. November 2010 lässt zwar nicht im Tenor, wohl aber in seiner Begründung mit der erforderlichen Bestimmtheit erkennen, dass mit Wirkung für die Zukunft neben dem auf einer Ermessensentscheidung gründenden Widerruf hilfsweise eine Rücknahme des Anerkennungsbescheids vom 7. Oktober 1999 ausgesprochen worden ist; die Beklagte hat im Verfahren klargestellt, dass auch insoweit die Aufhebung nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgt ist.

15 4.2 Nach § 73 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zurückzunehmen, wenn sie auf Grund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen ausgesprochen worden ist und wenn der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. Der Einhaltung einer Rücknahmefrist bedarf es nicht. In § 73 AsylVfG ist eine derartige Frist nicht geregelt, und jedenfalls seit Einführung der Dreijahresfrist in § 73 Abs. 2a AsylVfG ist auch hinsichtlich der Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG kein Raum für die Anwendung der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG neben § 73 AsylVfG (ebenso für den Widerruf bereits Urteil vom 5. Juni 2012 - BVerwG 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 45 jeweils Rn. 17 f.).

16 Diese Voraussetzungen für die Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung liegen vor. Die Angaben der Klägerin zu 1 zu ihrem angeblichen Verfolgungsschicksal waren, wie sie selbst eingeräumt hat, in allen wesentlichen Punkten unzutreffend; zudem hat die Klägerin zu 1 ihre armenische Staatsangehörigkeit verschwiegen. Eine Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aus anderen Gründen ist nach ihren eigenen Angaben ausgeschlossen. Auch soweit die Kläger eine Rückkehr nach Armenien für rechtlich unzulässig halten, beziehen sie dies lediglich auf möglicherweise vorliegende Abschiebungsverbote, nicht aber auf behauptete Gründe für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus.

17 Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG liegen auch hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 vor. Denn eine Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung ist nicht davon abhängig, dass der betroffene Ausländer selbst unrichtige Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat; erst recht ist keine subjektive Täuschungs- oder Unterdrückungsabsicht erforderlich. Hier reicht aus, dass den im Zeitpunkt der Anerkennung asylverfahrensrechtlich nicht handlungsfähigen Klägern zu 2 und 3 die unrichtigen Angaben oder das Verschweigen wesentlicher Tatsachen, die zu einer objektiv fehlerhaften tatsächlichen Grundlage für ihre Flüchtlingsanerkennung geführt haben, zuzurechnen waren; dies ist hier der Fall.

18 4.3 Die Beklagte war zur Rücknahme des Bescheids vom 7. Oktober 1999 ausnahmsweise auch unter Durchbrechung der Rechtskraft des Urteils vom 9. August 1999 berechtigt, weil eine Berufung der Kläger auf das Urteil einen Urteilsmissbrauch bedeutete.

19 Zwar schließt die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils die Rücknahme des zuerkannten Status grundsätzlich aus, wenn das Urteil - wie hier - einer Korrektur im Wege der Restitutionsklage (§ 153 VwGO, § 580 ZPO) nicht mehr zugänglich ist. Denn regelmäßig überwiegt in einem solchen Fall das Interesse an der Beibehaltung des durch das Urteil bewirkten Rechtszustands gegenüber dem Interesse an dem nachträglichen Entzug einer auf fehlerhafter Tatsachengrundlage beruhenden Begünstigung: Die Rechtskraft soll zum Schutz von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden gerade auch fehlerhaft entschiedene Fälle weiterem Streit entziehen (zum umgekehrten Fall der zu Gunsten des Betroffen ausnahmsweise erforderlichen Korrektur einer rechtskräftigen fehlerhaften Entscheidung entsprechend § 51 Abs. 5 VwVfG: Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 15.08 - BVerwGE 135, 121 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 55 jeweils Rn. 24 ff., 30 ff.).

20 Die Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung trotz rechtskräftiger Verpflichtung zur Zuerkennung dieses Status kann jedoch bereits nach nationalem Recht in Ausnahmefällen dann geboten sein, wenn das zu Grunde liegende Urteil unrichtig ist, wenn die Unrichtigkeit den von dem Urteil Begünstigten bekannt ist und wenn besondere Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen. Solche Umstände liegen bei der auf einem Urteil beruhenden Flüchtlingsanerkennung jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht. Eine lediglich objektiv falsche Tatsachengrundlage des Verpflichtungsurteils reicht hier - anders als bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 2 AsylVfG - nicht aus. Auf der anderen Seite führt nicht jede - auch gezielte - Täuschung über untergeordnete, weniger gewichtige oder gar nicht ergebnisrelevante Umstände des asylbegründenden Vortrags bereits dazu, dem Flüchtling die Berufung auf die Rechtskraft eines Verpflichtungsurteils zu verwehren, denn eine nicht auf Ausnahmefälle beschränkte Korrektur inhaltlich falscher Gerichtsentscheidungen würde das Institut der Rechtskraft entwerten. Die eine Berufung auf die Rechtskraft ausschließende Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs ist vielmehr erst überschritten, wenn sich die Täuschung auf wesentliche Umstände bezogen hat, ohne die eine positive Entscheidung über eine Asylanerkennung oder die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nicht möglich gewesen wäre.

21 Die nach Art. 20 Abs. 3 GG für jede Einschränkung der nach § 121 VwGO mit der Rechtskraft verbundenen Wirkungen erforderliche gesetzliche Grundlage (vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 1 C 26.08 - BVerwGE 135, 137 = Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 54 jeweils Rn. 14) ist mit § 826 BGB gegeben. Die im Verwaltungsrecht entsprechend anwendbare Vorschrift ist neben ihrer Funktion als Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche zugleich gesetzlicher Ausdruck des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung und wird als positivrechtliche Grundlage für den Einwand des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs - beschränkt auf besonders gewichtige Fälle - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herangezogen (Urteil vom 28. März 1963 - BVerwG 2 C 98.60 - BVerwGE 16, 36 = Buchholz 232 § 151 BBG Nr. 1; vgl. auch RG, Urteile vom 9. Februar 1911 - IV 119/10 - RGZ 75, 213 und vom 3. Mai 1937 - VI 333/36 - RGZ 155, 55; BGH, Urteile vom 21. Juni 1951 - III ZR 210/50 - NJW 1951, 759 und vom 6. Mai 1987 - IVb ZR 54/86 - NJW-RR 1987, 1032; BSG, Urteil vom 26. September 1986 - 2 RU 45/85 - BSGE 60, 251; BAG, Urteil vom 14. Oktober 1960 - 1 AZR 233/58 - BAGE 10, 88). Insoweit erfasst die Vorschrift mit dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens zugleich auch den hier auf die sittenwidrige Ausnutzung inhaltlich falscher rechtskräftiger Entscheidungen bezogenen Einwand des nemo auditur propriam turpitudinem allegans: Niemand wird vor Gericht damit gehört, dass er die für ihn günstigen Folgen eigenen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens für sich in Anspruch nehmen will, unabhängig davon, ob bereits die Erwirkung oder erst die Ausnutzung eines inhaltlich falschen Titels betroffen ist. In einem solchen Fall müssen die Rechtswirkungen der Rechtskraft ausnahmsweise jedenfalls dann zurücktreten, wenn die dauerhaft wirkende Entscheidung (Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung bzw. subsidiärer Schutz) auf einem begünstigenden rechtswidrigen Urteil gründet, das durch eine gezielte grobe Täuschung auf sittenwidrige Weise erwirkt worden ist. Die Restitutionsklage (§ 153 VwGO i.V.m. § 580 ZPO) schließt jedenfalls in Fällen der Fortwirkung des durch das sittenwidrig erwirkte Urteil bewirkten Rechtsvorteils den Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauchs nicht aus. Sie erfasst nur bestimmte, vor allem an der Entscheidungsfindung im Zivilprozess ausgerichtete Formen der gezielten Erwirkung eines grob fehlerhaften Urteils, ist zudem nur innerhalb bestimmter Fristen eröffnet (§ 586 ZPO) und bildet daher eine gewichtige Konkretisierung der Möglichkeiten zur Beseitigung der Rechtskraft, enthält aber keine abschließende Regelung, um in Anwendung des Verbots des Rechtsmissbrauchs zwingenden Gerechtigkeitsanforderungen Geltung zu verschaffen.

22 Nach diesen Grundsätzen ist den Klägern die Berufung auf die rechtskräftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 9. August 1999 verwehrt. Dass diese Entscheidung inhaltlich falsch ist, räumen die Kläger ein, ebenso den Umstand, dass dies jedenfalls der Klägerin zu 1 von Anfang an bekannt war und den Klägern zu 2 und zu 3 bekannt ist. Denn das Verwaltungsgericht hat die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung des Flüchtlingsstatus und zur Feststellung von Abschiebungshindernissen mit dem Vortrag der Klägerin zu 1 zu ihrem angeblichen individuellen Verfolgungsschicksal begründet, ausgehend von der Annahme, es handle sich um Personen türkischer Staatsangehöriger und syrisch-orthodoxen Glaubens. Auch die Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs ist im vorliegenden Fall überschritten, da die Klägerin zu 1 das rechtskräftige Urteil durch Falschangaben zu ihrer Identität, ihrer Staatsangehörigkeit und zur gesamten für das Gericht maßgeblichen Verfolgungsgeschichte erwirkt hat. Nach ihren späteren Angaben ist sie armenische Staatsangehörige und hat keinerlei Bezüge zur Türkei; die von ihr vorgetragenen Behauptungen über eine Vergewaltigung als Reaktion auf eine Weigerung ihres Ehemannes zur Kooperation mit den Sicherheitskräften sind ausnahmslos falsch, während sie Verfolgung in ihrem Heimatland Armenien zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht hat. Diese Täuschung beschränkt sich mithin nicht auf Umstände, die für das Verwaltungsgericht von geringem Gewicht oder gar unerheblich waren, sondern erfasst den gesamten Vortrag zu ihrem angeblichen Vorfluchtschicksal und ist damit von ausschlaggebender Bedeutung für das zu Gunsten der Kläger gefällte Verpflichtungsurteil.

23 Auch die Kläger zu 2 und 3 können sich auf die für sie günstige rechtskräftige Entscheidung vom 9. August 1999 nicht berufen. Dabei kommt es nicht auf die Frage an, ob ihnen bereits die Täuschungshandlung der Klägerin zu 1 in dem jener Entscheidung vorausgegangenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Hinblick auf ihr damaliges Alter zurechenbar war. Denn mit der Ausnutzung des durch diese qualifizierte Täuschung erwirkten inhaltlich falschen rechtskräftigen Urteils im Wissen um sein Zustandekommen überschreiten sie in gleicher Weise die Schwelle des sittenwidrigen Urteilsmissbrauchs wie die Klägerin zu 1.

24 4.4 Offenbleiben kann die Frage, ob der Beklagten bei der streitgegenständlichen Entscheidung ein Ermessen eingeräumt war oder ob sie trotz des Wortlauts des § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG aus unionsrechtlichen Gründen zur Rücknahme der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus verpflichtet war. Denn im vorliegenden Fall hat die Beklagte ein im Hinblick auf die nach § 73 Abs. 2a Satz 1 i.V.m. Abs. 7 AsylVfG durchgeführte Prüfung etwa bestehendes Ermessen jedenfalls sachgerecht dahin ausgeübt, dass eine Rücknahme angesichts der Umstände des Falles ausgesprochen werden durfte. Auch wenn die Begründung des angegriffenen Bescheids zur Rücknahme der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus keine gesonderten Ermessenserwägungen enthält, lässt sich jedenfalls der Begründung der Widerrufsentscheidung zweifelsfrei entnehmen, dass die dort angeführten Ermessenserwägungen auch für die hilfsweise ausgesprochene Rücknahmeentscheidung gelten sollen. Es muss daher nicht geklärt werden, ob Art. 14 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie - wofür allerdings vieles spricht - nach seinem Wortlaut und Regelungszweck dahin auszulegen ist, dass der zuständigen Behörde ein Ermessen bei der Entscheidung über den Widerruf bzw. die Rücknahme einer Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung entgegen § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG nicht eingeräumt sein darf und daher jedenfalls im Regelfall von einer unionsrechtskonformen Reduzierung des vom Gesetz eingeräumten Ermessens auf Null auszugehen sein könnte.

25 4.5 Offenbleiben kann, ob das hier anzuwendende Unionsrecht (4.5.1), das der nach Vorstehendem jedenfalls möglichen Rücknahme in Anwendung nationalen Rechts jedenfalls nicht entgegensteht (4.5.3), die Rücknahme einer durch Täuschung erwirkten Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung unabhängig vom Vorliegen eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils fordert (4.5.2).

26 4.5.1 Unionsrechtlich findet sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als auch die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt, und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (Art. 39 Abs. 1, Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Eine Einschränkung ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf Schutzbegehren, die nach dem Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie gestellt worden sind, weist die Vorschrift - anders als Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie (vgl. dazu aber Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 19 Rn. 9 f.) - nicht auf, so dass jedenfalls die Prüfung am Maßstab der Richtlinie erforderlich ist.

27 4.5.2 Es kann offenbleiben, ob Unionsrecht die Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung in Fällen der durch falsche Angaben erwirkten Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung auch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Verpflichtungsurteils stets und unabhängig davon fordert, ob auch ein Fall des Urteilsmissbrauchs vorliegt.

28 Nach Art. 14 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU erkennen die Mitgliedstaaten einem Drittstaatsangehörigen die Flüchtlingseigenschaft u.a. dann ab, wenn festgestellt wird, dass eine falsche Darstellung oder das Verschweigen von Tatsachen durch den Drittstaatsangehörigen, einschließlich der Verwendung falscher oder gefälschter Dokumente, für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschlaggebend war. Im Unterschied zu Art. 14 Abs. 1 und 4, die das Erlöschen des Schutzstatus ausdrücklich auf eine dem Drittstaatsangehörigen von einer Regierungs- oder Verwaltungsbehörde, einem Gericht oder einer gerichtsähnlichen Behörde erteilte Rechtsstellung beziehen, enthält der im vorliegenden Fall allein einschlägige Absatz 3 Buchst. b der Richtlinie keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass auch ein gerichtlich zuerkannter Schutzstatus zurückgenommen werden kann.

29 Ob auch Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie gegebenenfalls zu einer Durchbrechung rechtskräftiger Entscheidungen ermächtigt oder gar verpflichtet, ist hier nicht zu vertiefen. Hierfür mag allerdings nicht nur die undifferenzierte Fassung des Art. 37 der Richtlinie 2005/85/EG (Verfahrensrichtlinie) sondern auch der Umstand sprechen, dass die geltende Fassung von Art. 14 Abs. 1 und 4 der Richtlinie einerseits und Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie andererseits durch eine bloße Umstellung des Entwurfstextes während der Erarbeitung der Richtlinie entstanden sein dürfte und damit möglicherweise auf einem Redaktionsversehen beruht (vgl. Protokolle des Rates der Europäischen Union zum Kommissionsvorschlag 13620/01 ASILE 52 - KOM(2001) 510 endg., Beratungsergebnisse der Gruppe „Asyl“, Protokolle Nr. 12199/02 vom 25. September 2002 <S. 19>, Nr. 14083/02 vom 12. November 2002 <S. 20> und Nr. 14643/02 vom 22. November 2002 <S. 18 f.>).

30 4.5.3 Art. 14 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie steht der Rücknahme unter Rückgriff auf § 826 BGB jedenfalls nicht entgegen. Nach dem Konzept der Qualifikations- und der Verfahrensrichtlinie muss eine Prüfung des Flüchtlingsstatus eingeleitet werden, wenn Anhaltspunkte auftreten, die die Rechtmäßigkeit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Zweifel ziehen (Art. 38 Verfahrensrichtlinie). Dies ist durch § 73 AsylVfG sichergestellt. Für ein Verbot der Rücknahme trotz einer entgegenstehenden rechtskräftigen Entscheidung lässt sich der Richtlinie offenkundig nichts entnehmen.

31 5. Die Revision ist auch begründet, soweit der streitgegenständliche Bescheid die Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich der Türkei zurückgenommen hat. Das Berufungsgericht hat diese Rücknahme unter Verstoß gegen revisibles Recht für rechtswidrig gehalten. Aus den bereits ausgeführten Gründen ergibt sich vielmehr, dass das Urteil vom 9. August 1999 auch insoweit inhaltlich falsch ist, als es die Beklagte verpflichtet hat, zugunsten der Kläger das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG festzustellen. Den Klägern ist diese Unrichtigkeit bekannt, und sie können der Rücknahmeentscheidung die Rechtskraft des Urteils aus den bereits genannten Gründen nicht entgegenhalten.

32 6. Der Hilfsantrag der Kläger auf Feststellung von Abschiebungsschutz nach nationalem Recht ist nicht begründet. Es sind weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren Anhaltspunkte vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, aus denen sich ergeben könnte, dass die Kläger in Armenien mit Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG zu rechnen hätten. Zu den tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf die das Verwaltungsgericht die Ablehnung des auf Vorliegen eines Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG gerichteten Hilfsantrags gestützt hat, haben die Kläger ebenfalls im Berufungs- oder Revisionsverfahren nichts vorgetragen; ihr Vorbringen zur Verwurzelung im Bundesgebiet ist offenkundig nicht geeignet, das Vorliegen zielstaatsbezogener Gefahren zu begründen.

33 7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.