Beschluss vom 18.10.2005 -
BVerwG 4 B 44.05ECLI:DE:BVerwG:2005:181005B4B44.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.10.2005 - 4 B 44.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:181005B4B44.05.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 44.05

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 17.03.2005 - AZ: OVG 20 D 31/03.AK

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimisst, noch beruht das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensmangel.

2 1.a) Die Frage, ob bei einer bevorstehenden Routenänderung eine Vergleichsanalyse mit Hilfe eines Simulationsverfahrens als Grundlage für die Abwägung zwischen verschiedenen alternativen Routen geboten ist, insbesondere, wenn die Neubelastung eines Gebiets verursacht wird, führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt. Mit welchen Methoden und welcher Intensität eine Belastungssituation zu ermitteln ist, hängt in erster Linie von dem Ausmaß der konkreten Lärmbelastung ab. Ist als wahrscheinlich oder gar als gewiss davon auszugehen, dass durch den Flugverkehr auf der festgelegten Route unzumutbarer Lärm im Sinne des § 29b Abs. 2 LuftVG hervorgerufen wird, hat das Luftfahrt-Bundesamt umso eingehender zu prüfen, ob sich Streckenalternativen anbieten, die Abhilfe versprechen, je deutlicher die Zumutbarkeitsschwelle voraussichtlich überschritten wird. Dagegen sind die Anforderungen an die Untersuchungstiefe umso geringer, je ferner der Schluss auf unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen liegt (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 <167> = NVwZ 2004, 1229 <1233>). Ob die Entscheidung über die Festlegung von Flugrouten schon aufgrund - selbstverständlich aktuellen und hinsichtlich Art und Umfang der Besiedlung hinreichend aussagekräftigen - Kartenmaterials oder erst auf der Grundlage eines computersimulierten Optimierungsverfahrens für verschiedene Streckenalternativen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 - BVerwG 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <284>) sachgerecht getroffen werden kann, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls und entzieht sich einer fallübergreifenden Klärung.

3 b) Wegen der Frage, ob das Ermessen des Luftfahrt-Bundesamtes und der Deutschen Flugsicherung im Rahmen der Abwägungsentscheidung bei Routenänderungen nach dem Luftverkehrs-Gesetz und der Luftverkehrs-Ordnung dahingehend beschränkt ist, dass erhebliche Neubelastungen nur aufgrund simulativ prognostizierter erheblicher Entlastungen in Kauf genommen werden dürfen, ist die Revision ebenfalls nicht zuzulassen. Abgesehen davon, dass das Erfordernis eines Simulationsverfahrens von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängt, ist die Frage nicht entscheidungserheblich, weil das Oberverwaltungsgericht - für den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend - festgestellt hat, dass die Neubelastung durch die gewählten Flugrouten bei Berücksichtigung aller Routen geringer ist als die Gesamtlärm-Entlastung (UA S. 24 f.).

4 c) Die Grundsatzrüge im Schriftsatz vom 4. August 2005 ist nicht zu behandeln, da sie nicht innerhalb der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO erhoben worden ist.

5 2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

6 a) Das Oberverwaltungsgericht hat der Klägerin nicht das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgeschnitten. Dabei kann offen bleiben, ob das Gericht, das im Urteil durchgreifende Hinweise auf einen Abwägungsausfall bei der Festlegung der umstrittenen Flugrouten durch das Luftfahrt-Bundesamt vermisst (UA S. 19), in der mündlichen Verhandlung die Auffassung geäußert hat, es komme auf einen möglichen Abwägungsausfall gar nicht an; denn die Klägerin ist durch die Äußerung, ihr Vorliegen unterstellt, nicht daran gehindert worden und hat sich nicht daran hindern lassen, zu diesem Punkt vorzutragen. Die Beschwerde räumt in ihrer Erwiderung auf die Begründung des Nichtabhilfebeschlusses ein, den Hinweis des Oberverwaltungsgerichts zur Unbeachtlichkeit der Entstehung der Entscheidung zur Flugroutenänderung zum Anlass und als Einstieg für einen Vortrag zur Fehlerhaftigkeit der Entscheidung genommen zu haben. Dass und inwieweit die behauptete Festlegung des Oberverwaltungsgerichts auf die Irrelevanz eines Abwägungsausfalls zu einer Verkürzung des Vortrags geführt hätte, legt sie nicht substanziiert dar. Auch begründet sie nicht, weshalb sie in diesem Zusammenhang keine Beweisanträge hätte stellen können. Im Übrigen zeigt sie nicht auf, weshalb der im Beschwerdeverfahren als Zeuge präsentierte Landtagsabgeordnete Lindlar als Mitglied der Fluglärmkommission sollte bestätigen können, dass sich die DFS bei ihrer vorbereitenden Flugverfahrensplanung und das Luftfahrt-Bundesamt bei seiner Entscheidung von dem Votum der Fluglärmkommission abhängig gemacht hätten; denn sie zeichnet nicht nach, dass und welche Verbindung zwischen dem Zeugen Lindlar und den Entscheidungsträgern der DFS und des Luftfahrt-Bundesamtes besteht. Das vorgelegte Protokoll der Sitzung der "Interessengemeinschaft Winterscheider gegen Fluglärm" vom 17. Januar 2000, an der Herr Lindlar teilgenommen hat, ist insoweit unergiebig.

7 b) Die Aufklärungsrüge verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.

8 aa) Soweit sich die Rüge auf den geltend gemachten Abwägungsausfall bezieht, entspricht sie nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Wird ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO geltend gemacht, muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der vermissten Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge stellt nämlich kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 1998 - BVerwG 6 B 67.98 - juris). Lediglich schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge - wie hier diejenigen im Schriftsatz der Klägerin vom 22. April 2003 - genügen den letztgenannten Erfordernissen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).

9 bb) Zu Unrecht sieht die Beschwerde darin einen Aufklärungsmangel, dass sich das Oberverwaltungsgericht zur Beurteilung der Vertretbarkeit der Verteilung der Lärmbelastung auf das ihm vorliegende Kartenmaterial gestützt und keine Vergleichsanalyse gefordert hat. Für die Vorinstanz war keine Lösung ersichtlich, bei der die Lärmbelastung geringer als bei den verordneten Routen sein könnte (UA S. 31). Da aus ihrer maßgeblichen Sicht das vorhandene Karten- und Gutachtenmaterial hinlänglich belegt, dass es bei allen in Betracht zu ziehenden Routen im Grunde in diesem dicht besiedelten Bereich immer nur um die Verteilung vergleichbarer Lärmeinwirkungen auf andere Gebiete und andere Betroffene gehen wird (UA S. 32), hatte sie keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen. Nach Auffassung der Beschwerde hat das Kartenmaterial nicht die Aussagekraft, die ihr das Oberverwaltungsgericht beimisst. Die Kritik der Beschwerde richtet sich daher gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung. Sie ist dem sachlichen Recht zuzurechnen und bezeichnet keinen Verfahrensmangel (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 f.).

10 cc) Die Beschwerde kann die Zulassung der Verfahrensrevision ferner nicht mit der Behauptung erreichen, das Oberverwaltungsgericht hätte den aufgezeigten Absprachen der altbetroffenen Gemeinden als Mitglieder der Fluglärmkommission zu Lasten der Klägerin nachgehen müssen. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der von der Beschwerde beanstandeten Feststellung, dass von einem bloßen "Deal" zwischen dem Vertreter der Stadt Hennef und den Vertretern der Städte Siegburg und Lohmar über die Ostverlagerung der DOM/WYP-Strecken keine Rede sein könne (UA S. 23). Die Klägerin ist unterlegen, weil das Oberverwaltungsgericht keinen Zweifel daran hatte, dass das Luftfahrt-Bundesamt die unterbreiteten Vorschläge selbst nachvollzogen und als eigene Abwägungsentscheidung mit allen daran zu stellenden Anforderungen in eigener Verantwortlichkeit getroffen hat (UA S. 19 f.), und weil es die Ostverlagerung der DOM/WYP-Route auch im Ergebnis als durch sachliche Gründe gerechtfertigt und damit nicht als willkürlich angesehen hat (UA S. 23). Wie die der Entscheidung vorausgehende Empfehlung der Fluglärmkommission zustande gekommen ist, ist nicht entscheidungstragend.

11 dd) Die Aufklärungsrüge im Schriftsatz vom 4. August 2005 ist verspätet erhoben.

12 c) Eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der vorinstanzlichen Tatsachenwürdigung, die ausnahmsweise als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>), liegt nicht vor. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln. Davon kann hier keine Rede sein. Das angefochtene Urteil enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Oberverwaltungsgericht den Sachvortrag der Klägerin zum Vorliegen eines Abwägungsausfalls als wahr unterstellt und im Widerspruch dazu den schlechterdings unhaltbaren Schluss gezogen hat, das Luftfahrt-Bundesamt habe die unterbreiteten Vorschläge selbst nachvollzogen und als eigene Abwägungsentscheidung mit allen daran zu stellenden Anforderungen in eigener Verantwortlichkeit getroffen. Das Gericht hat allenfalls einer Reihe von Umständen, die dafür sprechen könnten, dass dem Luftfahrt-Bundesamt ein Abwägungsfehler in Form des Abwägungsausfalls unterlaufen ist, nicht das von der Klägerin geforderte Gewicht beigemessen. Eine derartige Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist aber nicht mit einem Verstoß gegen Denkgesetze gleichzusetzen.

13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.